Geliebte Nanny
immer eine Nanny bleiben will. Noch dazu eine türkische. Ich will schließlich mein eigenes Leben und meine eigene Zukunft leben. Andererseits weiß ich ganz genau, dass es mir de facto wahnsinnig schwer fallen würde, den verzweifelten Arndt und die Kinder in dieser Situation im Stich zu lassen. Mein Gewissen würde mich so lange quälen, bis ich freiwillig wieder in Cousine Birgüls Altkleidersammlung steigen und zurückkehren würde. O Mann, ich bin quasi dazu verdammt, für immer zu bleiben.
Unversehens erscheint mir ein verschwommenes Bild vor Augen. Das bin ich – als Engel . Besser gesagt, als Engel, der ein Kopftuch trägt. Und urplötzlich entsinne ich mich wieder, aus welchem Grund ich diese Stelle angenommen habe: Ich wollte eine Mission erfüllen, bevor ich ein neues Leben beginne. Ja, genau, ich wollte Gutes tun!
Und genau das werde ich jetzt tun. Es ist ja nicht so, dass ich noch nichts dergleichen getan habe, in der ganzen Zeit. Man denke nur an die Rettung der kleinen Klara aus dem Swimmingpool, so ganz nebenbei. Jetzt ist es an der Zeit, meiner wahren Berufung zu folgen. Ich muss Klodia dabei helfen, eine bessere Mutter zu werden. Ihr klarmachen, dass sie ihre Prioritäten neu sortieren muss, und wenn sie ihren Mann nicht verlieren will, dann muss sie ihr Misstrauen Arndt gegenüber ablegen. Wie ich das anstellen soll, ist mir zwar noch nicht ganz klar. Aber bevor ich hier – bei den von Degenhausens – meinen Lebensabend verbringe und womöglich noch die Enkel und Urenkel hüte, werde ich alles versuchen, was in meiner Macht steht, um Klodia zur Besinnung zu bringen.
Mit einem gewaltigen Schluck, gieße ich den Inhalt meines Weinglases hinunter!
Arndt staunt nicht schlecht.
»Ich werde niemanden im Stich lassen Arndt!«, schwöre ich und blicke ihm tief in die Augen. Mit dankerfüllter Mimik erhebt Arndt sich von seinem Stuhl und nähert sich meinem Gesicht bis auf wenige Zentimeter.
Was hat er denn jetzt vor?
Ein Seufzer entweicht ihm. Er breitet seine Arme aus, seufzt erneut und fällt mir um den Hals. Zuerst begreife ich gar nichts. Was tut man mit einem Mann, mit einer derart labilen Gemütsverfassung? Auf der Suche nach einer brauchbaren Reaktion von meiner Seite, kremple ich mein gesamtes Oberstübchen um. Schließlich ringe ich mich zu einem diskrepanten Nackentätscheln durch und muss unwillkürlich an den Rottweiler meiner ehemaligen Nachbarin denken, der mir jeden morgen im Treppenhaus begegnete und auf meine Schuhe sabberte. Fürchterlicher Köter. Natürlich ließ ich mir meine hochgradige Hundephobie dabei nie anmerken.
»Danke, Mel. Für alles! Sie sind das Beste, was uns passieren konnte! Ich bin so froh, dass Sie da sind!«
»So ist das also!« Wie eine Lawine poltert Klodias Stimme durch diesen bewegten Moment hindurch. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Arndt transmutiert inmitten seiner herzergreifenden Umarmung zum Scheintoten, was sich ausgesprochen unvorteilhaft auf den Eindruck auswirkt, den wir beide da gerade vermitteln. Einen Wimpernschlag später, steht Klodia vor uns. Mit ihrem Blick könnte sie mühelos einen Jahresvorrat frischer Gartenkräuter schockgefrieren. Ihre ganze Schönheit ist schlagartig verschwunden.
»O bitte Allah, – Arndt soll mich endlich loslassen!«, bete ich in Gedanken. Mit einem Ruck befreie ich mich von ihm. Klodias Augäpfel fallen beinahe aus ihren Höhlen, als sie die beiden Weingläser und die halbleere Weinflasche entdeckt. Direkt daneben steht ein gut bestückter Messerblock – exquisiteste Markenqualität, versteht sich.
SCHLUCK!
Klodia heftet ihre, von unzähligen Krähenfüßen umrahmten, Augen auf mich.
»Sie gottverdammtes Flittchen. Hab ich’s mir doch gedacht!«
Wie bitte?
»Es ist überhaupt nicht so wie sie denken, gnädige Frau«, pariere ich und versuche die Sache zu erklären. Arndt könnte jetzt ruhig auch mal was sagen. Schließlich war er es, der mich in Anbetracht seines sentimentalen Tiefgangs so Hals über Kopf in den Arm genommen hat. Eigentlich ein völlig harmloser Anblick, soweit ich das beurteilen kann. Klodia sieht das offensichtlich anders.
»Zu irgendetwas musste meine Migräne ja gut sein…«, schimpft Klodia und massiert sich die Schläfen, »…sonst hätte ich euch beide hier niemals inflagranti erwischt! «
Inflagranti?!
Die Frau ist ja paranoid.
»Diese verfluchten Kopfschmerzen! Wo zum Teufel sind die verdammten Migränetabletten?«, keift sie weiter.
Arndt
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