Geliebte Nanny
Befürchtung ein, dass Arndt und Cengiz regelrecht begeistert von mir sind. Arndt von meinen (nicht vorhandenen) Kochkünsten. Und Cengiz erkennt in mir offenbar das virtuose Gegenstück, mit dem er sich – wie er es ausdrückt »vollkommen« fühlt.
»Um noch mal auf das Thema von vorhin zurück zu kommen«, wirft David mit ernster Stimme ein. »Haben Sie schon mal daran gedacht, sich etwas mehr in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, so wie Ihre Cousine? Sicher wäre so vieles leichter für Sie.«
»Ach, Sie meinen wegen des Kopftuchs und so?«, gebe ich schnippisch zurück. Er schweigt. Aber die Art, wie er mich mustert sagt schon alles. Wusste ich’s doch, David besitzt die gleiche intolerante Einstellung, die ich bereits bei vielen anderen Menschen kennengelernt habe, denen ich bisher als Melek Yildiz begegnet bin. Unwillkürlich bricht Enttäuschung und Wut in mir aus. Was will er denn von mir hören? Dass ich nicht länger so hartnäckig an meinen angeblichen Prinzipien festhalte, anfange Schweinefleisch zu essen, das Kopftuch abnehme und mich demnächst genauso zwanglos wie Yasi kleide? Dass könnte ihm so passen.
»Ich kann mir vorstellen, dass es nicht angenehm ist, wegen der Kleidung und des Kopftuchs benachteiligt oder sogar diskriminiert zu werden, wollte ich damit sagen. Da könnte man ja vielleicht doch auf den Gedanken kommen sich besser anzupassen.« David sieht mich erwartungsvoll an.
Ich hole tief Luft. »Ob ich mit dem Gedanken gespielt habe mich anzupassen, um als Mensch akzeptiert zu werden, meinen Sie wohl?« In Anbetracht der negativen Erfahrung, die mir bislang als Melek zu teil geworden ist, klinge ich ausgesprochen bissig. Irgendwie fühlt es sich so an, als wäre meine Rolle als Melek ein Teil von mir selbst. »Wenn ich ehrlich bin, war ich immer eine Integrationsbefürworterin,« setze ich fort, »Kopftuchzwang, Bevormundung und derartige Dinge finde ich entsetzlich. Aber ich befinde mich in einer ganz anderen Situation.«
»Inwiefern?«, fragen Cengiz und David wie aus einem Mund.
Na toll. Ich kann ja unmöglich zugeben, dass Klodia mich gewissermaßen dazu zwingt so zu sein, wie ich jetzt bin. Stattdessen antworte ich: »Ich bin der Meinung, dass es jedem Menschen zusteht, sich frei nach seinen eigenen Vorstellungen zu entfalten, ob nun mit einem Kopftuch oder Bauchfrei im November. Eine Frechheit, dass Menschen ständig versuchen andere in die angeblich richtige Richtung zu dirigieren. Mir ist klar geworden, dass man sich nicht verleugnen sollte, nur um es anderen Leuten recht zu machen. Es ist oberflächlich und zeugt von charakterlicher Schwäche, wenn man nicht dazu steht, wer man ist.«
Und so was ausgerechnet aus meinem Mund. Warum kann ich nicht einfach die Klappe halten? Außerdem wünsche ich mir nichts sehnlicher, als das Ende dieses Abends herbei.
»Und wer genau sind Sie?«, will David wissen.
Ich hab’s geahnt. Jetzt komme ich aus dieser Sache nicht mehr raus. Trotzdem lasse ich nichts unversucht und starte ein rasantes Ablenkungsmanöver, indem ich auf die Wanduhr schaue und rufe: »Oh, Zeit für den Nachtisch!« Kopflos flitze ich in die Küche.
***
Seit geraumer Zeit stehe ich vor der Küchenanrichte und lasse die Geschehnisse dieses verrückten Abendessens Revue passieren. Aber irgendwann muss ich ja wieder auftauchen und den Nachtisch servieren.
Ich gebe jeweils eine Kugel Vanilleeis auf die Dessertteller. Dann lege ich ein paar meiner gefüllten Feigen dazu. Ich will gerade zurück ins Esszimmer gehen, da steht Arndt in der Tür und lächelt.
»Haben Sie Probleme mit dem Nachtisch? Kann ich helfen?«, bietet er mir an und prompt steht er neben mir, um mir ein paar Teller abzunehmen. Seine anfängliche Verklemmtheit mir gegenüber, hat er längst abgelegt. Allmählich wird er mir direkt ein bisschen lästig. Mit dem Nachtisch in der Hand dackelt er hinter mir her.
Die mit Walnüssen gefüllten Feigen, sind mit Abstand der am besten gelungenste Gang meines Menüs. Das sehen die anderen diesmal genauso. Vielleicht klingt der Abend ja doch noch entspannt aus, denke ich gerade, doch im nächsten Moment knüpft David beharrlich an das Gespräch von vorhin an.
»Sie haben gar nicht auf meine Frage geantwortet, Melek.« Seine Stimme klingt sanft aber geflissentlich. Und dann dieser Blick, so zartschmelzend wie Karamell.
Ehe ich mich versehe, sind meine Knie butterweich und die darauffolgende Atembeklemmung zwingt mich wiederholt
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