Geliebte Nanny
ich ihn ohne Regenschutz hatte mitnehmen müssen, war eindeutig zu viel für ihn gewesen. Da es noch nie geregnet hat, seit ich hier arbeite, brauchte ich auch nie einen Regenschutz für den Buggy. Ich wusste nicht mal, wo der sich befand oder ob es überhaupt einen gab. Letzten Endes musste ich mich also ohne Schutz auf den Weg machen. Der Weg zum Kindergarten war die reinste Qual gewesen. Es regnete Bindfäden. Auf dem Rückweg, nahm das Wetter dann sintflutartige Ausmaße an. Ich hatte Mühe meine Augen offen zu halten, denn der Regen prasselte gnadenlos in mein Gesicht. Pauline rannte hilflos neben mir und dem Buggy her und stolperte sogar ein paar Mal.
Wir drei waren klatschnass, als wir endlich zu Hause ankamen. Ich kümmerte mich zuerst um den bibbernden Gerald, wechselte seine Kleidung und wickelte ihn in eine warme Decke. Pauline konnte sich schon halbwegs selbst umziehen. Ich beauftragte Antoine, heiße Milch mit Honig für die Kinder zuzubereiten und fragte mich, ob Klodia jemals heiße Milch mit Honig für die beiden gemacht hat. Insgeheim wünschte ich mir, dass Klodias Flug aufgrund des Unwetters gestrichen wurde. Das wäre die gerechte Strafe, für ihr unverantwortliches Verhalten gewesen. Doch leider herrschte eine halbe Stunde später der herrlichste Sonnenschein.
Ich schaue gähnend auf meine Uhr. Halb zehn.
»Halte noch ein bisschen durch. Wir fahren sofort morgen früh zum Arzt«, flüstere ich Gerald, der sich in meinen Arm gekuschelt hat zu und streichele seine glühenden Wangen. In diesem Moment fällt mir etwas auf: Klodia ist weg! Seit dem Vorfall im Büro, habe ich sie nicht mehr gesehen. Klodia ist zum Flughafen gefahren, ohne sich von ihrer Tochter und ihrem kranken Sohn zu verabschieden. Einfach unglaublich! Damit hat sie das Maß endgültig zum Überlaufen gebracht. Allmählich fange ich an, diese Frau zu hassen. Und ich kann nicht garantieren, dass ich bei ihrer Rückkehr nicht in Versuchung gerate, selbst mal Hand an so ein Fleischermesser zu legen.
Ich kann nicht schlafen. Gerald wälzt sich wimmernd neben mir im Bett herum und hustet mir ins Gesicht. Gegen Mitternacht fängt er an, schmerzvoll zu weinen.
Ich fasse einen Endschluss. Gerald braucht dringend ärztliche Hilfe. Jetzt! Den Arzttermin morgen früh kann ich unmöglich abwarten. Ich muss unverzüglich in die Notfallambulanz der nächsten Kinderklinik mit ihm fahren. Aber wie? Ich habe kein Auto. Und der Chauffeur ist zu Hause, wo auch immer das ist. Ich könnte ihn sowieso nicht erreichen, er hat mir ja nie seine Telefonnummer gegeben. Warum sollte er auch? Ich gebe zu, diese Notfallsituation überfordert mich gerade ein bisschen und ich gerate in leichte Panik. Jetzt ärgere ich mich, dass ich letztens diesen kostenlosen Kurs für autogenes Training abgelehnt habe und meiner Mutter mit den Worten »Solchen Blödsinn brauche ich nicht!« , einen Vogel gezeigt habe. Später ist man immer schlauer.
Kopflos stürme ich auf den Flur. Dann muss Howard uns eben mit seinem Privatwagen fahren, ist mein nächster Gedanke. Oder...Moment.
Ich versuche meine Sinne zu ordnen und beruhige mich, ganz ohne autogenes Training. Ich schlüpfe ins Zimmer zurück, schmeiße mich in Sekundenschnelle in meine Klamotten und wickle mein Kopftuch um. Dann trete ich auf den Flur zurück und marschiere zielstrebig auf das Zimmer, am Ende des gegenüberliegenden Traktes zu. Energisch klopfe ich an und rufe nicht zu leise: »David? Sind Sie da? Ein Notfall! Bitte machen Sie auf.«
Stille.
Ich versuche es noch einmal. Dann höre ich drinnen Geräusche.
»DAVID!«
»...Ja?«, ertönt seine verschlafene Stimme. »Wer ist denn da? Giulia?«
Von wegen Giulia!!
»Ich bin’s. Melek!«, rufe ich leicht gereizt und donnere noch heftiger gegen seine Tür.
»Melek?...was...?« Er klingt überrascht. »Eine Sekunde…äh…, kommen Sie rein! «
Drinnen ist es düster.
»Was ist denn passiert, dass sie um diese Uhrzeit so einen Krawall veranstalten?« Ich kann ihn in der Dunkelheit kaum erkennen, doch dann raschelt es aus seiner Richtung und kurz darauf erscheint in laserartigen, leuchtendblauen Ziffern, die Uhrzeit an der Wand, gegenüber von seinem Bett.
»Halb eins!«, sagt David etwas schroff. »Ich hoffe, Sie haben eine gute Ausrede. Ich hab morgen früh ein wichtiges Meeting!« Sein Gesicht schimmert blau vom Laserlicht.
Ich schaue mich nach dem Lichtschalter um und knipse das Licht an. David kneift die Augen
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