Geliebte Rebellin
offensichtlich von den Umständen seiner Geburt dazu verleiten lassen, einen Weg einzuschlagen, der ihn mit großer Sicherheit ins Verderben führen wird. Gott sei Dank hast du dich für ein anderes Leben entschieden.
Er sah den Mann an, der früher einmal einer seiner Gefährten gewesen war, vielleicht sogar ein Freund, und er begriff eine Wahrheit, mit der er sich bisher noch nie bewusst auseinandergesetzt hatte. Sein Vater hatte ihm zwar nicht den Titel vererbt, doch er hatte seinem unehelichen Sohn etwas anderes mit auf den Weg gegeben, und Anthony war dieses Glück versagt geblieben.
»Ich kann nicht leugnen, dass ich mir ab und zu Gedanken über die Vergangenheit gemacht habe«, sagte Baxter bedächtig. »Aber vielleicht habe ich der Versuchung widerstanden, mich in ernsthaften Racheakten zu üben, weil ich auf etwas anderes gestoßen bin, was mein Interesse mehr gefesselt hat.«
»Ach, ja, deine Leidenschaft für die Chemie.« Anthonys Mund verzog sich spöttisch. »Aber meiner Ansicht nach ist nichts anderes so faszinierend wie Racheakte.«
»Lass dir von einem alten Bekannten einen Rat geben. Sieh dich um, ob du nichts Unterhaltsameres finden kannst als Spielhöllen und Duelle. Aus dem Alter solltest du inzwischen heraus sein, Tony.«
»Ich muss dich bitten, mir jetzt nicht auch noch eine Moralpredigt zu halten. Es ist schon schlimm genug, dass du mir heute morgen den Spaß verdorben hast.«
»Du brauchst dich nicht so zynisch zu geben.« Baxter warf einen Blick auf die Kutsche, in der Hamilton und Norris auf ihn warteten. »Mir ist durchaus bewusst, dass du dich in diesem Fiasko großmütig verhalten hast. Ich bezweifle zwar, dass du großen Wert auf meinen Dank legst, aber ich danke dir trotzdem.«
»Na, prima.« Anthonys Lächeln erinnerte an einen Wolf, der die Lefzen zeigt. »Vielleicht wird mir deine Dankbarkeit noch einmal zustatten kommen. Aber ich versichere dir, dass sie unangebracht ist. Edelmütiges Handeln liegt mir nicht. Die Mühe kann sich ein Bastard sparen, denn es springt ja doch nichts für ihn dabei heraus.«
»Vielleicht haben die Dinge, mit denen du dir im allgemeinen die Zeit vertreibst, doch schon mehr von ihrem Reiz eingebüßt, als dir selbst bewusst ist.«
»Was, zum Teufel, soll das heißen?«
»Von dort aus, wo ich gestanden habe, war es durchaus möglich, zu erkennen, dass du ein wenig zu hoch und eine Spur zu weit nach links angelegt hast. Selbst dann, wenn deine Pistole dich nicht im Stich gelassen hätte, wäre die Kugel wahrscheinlich dicht an Norris' Ohr vorbeigeflogen. Jedenfalls wäre sie ihm ganz bestimmt nicht in die Brust gedrungen.« Baxter zog die Augenbrauen hoch. »Ich glaube tatsächlich, es wäre gar nicht nötig gewesen, mich in diese Angelegenheit einzumischen.«
Anthony sah ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Dann wandte er sich wortlos ab und ging auf seinen leichten Zweispänner zu, um sich wieder in seine selbstauferlegte Einsamkeit zurückzuziehen.
Baxter beobachtete, wie Tiles einstieg und das elegante Fahrzeug im Nebel verschwand. Seine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen. Genau das hätte aus mir werden können.
Oberflächlich betrachtet schien es, als gäbe es zwischen ihm und Anthony kaum eine Gemeinsamkeit. Tiles füllte sein Leben mit fieberhafter Aufregung und mit riskanten Abenteuern. Baxter dagegen zog die geregelte und zurückgezogene Welt vor, die er in seinem Laboratorium fand. Aber dennoch hatte jeder von ihnen auf seine eigene Art Schutzwälle errichtet, um Gefühle von sich fernzuhalten, die sie verletzbar machen könnten.
Dieselben Wälle sorgten aber auch dafür, dass sie ihr ganzes Leben lang allein sein würden.
Bisher hatte Baxter diejenigen, die ihn zeitweilig aus seinem Laboratorium herauszerrten, um eine lästige familiäre Verpflichtung zu übernehmen, verabscheut und sich ihnen nach Möglichkeit widersetzt. Und sowie er seine Aufgaben in der Außenwelt erledigt hatte, hatte er sich erleichtert in die wohlgeordnete, berechenbare Welt seiner persönlichen Interessen zurückgezogen.
Aber diesmal hatte er es nicht so eilig wie sonst, wieder bei seinen tröstlichen Phiolen, Schmelztiegeln und Schweißbrennern Zuflucht zu suchen. Er wollte nicht mehr so einsam sein.
Charlotte musterte die rundliche grauhaarige Frau mit den rosigen Wangen, die an dem grobgezimmerten Küchentisch vor dem Feuer saß. »Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie heute hergekommen sind, Mrs. Gatler.«
»Mrs. Witty hat mir
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