Geliebte Rebellin
Passanten geschützt.
Auf dem kleinen gepflasterten Quadrat vor der Küchentür war kein Laut zu hören. Charlotte warf einen Blick durch die Fenster. Auch hier unten war keine Menschenseele zu sehen. Sie pochte fest gegen eine Fensterscheibe.
Als keine Antwort kam, versuchte sie es an der Tür.
Sie war verriegelt.
Der Entschluss, eine der Fensterscheiben einzuschlagen, fiel ihr schwer, aber sie sah keine andere Möglichkeit, ins Haus hineinzukommen. Es war wirklich ein Jammer, dass Baxter nicht mitgekommen war, sagte sie sich, denn er stellte sich in diesen Dingen sehr geschickt an.
Sie setzte ihren Hut ab, presste die Krempe gegen eine der kleinen Fensterscheiben und wartete, bis eine Kutsche holpernd vorbeifuhr. Als das Klappern der Hufe und der Räder am lautesten war, holte sie mit ihrer schweren Handtasche Schwung und schlug sie gegen die Glasscheibe.
Die kleine Fensterscheibe zersplitterte, und die Scherben fielen auf den Küchenboden. Charlotte wartete einen Moment, doch niemand kam angerannt, um nachzusehen, was hier passiert war.
Sie streckte einen Arm durch die Öffnung und tastete nach dem Türriegel.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie sich Einlass verschafft hatte. Einbruch war eine erstaunlich unkomplizierte Angelegenheit.
Sie lief durch die Küche zur Treppe, die ins Erdgeschoss hinaufführte.
»Ist jemand zu Hause?« rief sie mit lauter Stimme. »Miss Post?«
Ein gespenstisches Schweigen antwortete ihr.
Die üble Vorahnung verstärkte sich, als sie langsam die Stufen hinaufstieg. In der Eingangshalle empfing sie ein unangenehmer Geruch.
»Juliana? Ich bin es, Charlotte Arkendale.«
Keine Antwort.
Sie schnupperte und sog behutsam die Luft ein. Es roch nach Rauch, ein vertrauter Geruch. Ihr fiel wieder ein, dass Juliana eine exotische Mischung von Räucheressenzen verwendete, um die passende Atmosphäre für ihre Sitzungen als Wahrsagerin zu schaffen.
Aber diesmal riecht es anders , dachte Charlotte. Das ist nicht derselbe Geruch wie beim letzten Mal. Trotzdem kommt er mir irgendwie bekannt, vor. Aber woher?
Und plötzlich wusste sie es: Dieser Geruch wies große Ähnlichkeit mit den widerlichen Räucheressenzen auf, die Hamilton und seine Freunde in ihrem privaten Raum im Grünen Tisch angezündet hatten. Dennoch nahm sie einen feinen Unterschied wahr, denn diesmal rochen die Dämpfe beißender und intensiver.
»Juliana ?«
Die Tür zu dem kleinen Salon, den Juliana dafür benutzte, ihren Kunden die Zukunft vorauszusagen, war geschlossen. Charlotte konnte sehen, wie der übelriechende Rauch unter der Tür herausquoll.
Sie konnte sich des grässlichen Gefühls nicht erwehren, dass allergrößte Eile geboten war. Sie eilte durch den Korridor zur Tür, packte den Türknopf und zerrte daran.
Die Tür war abgeschlossen.
Schockiert blickte sie auf das Schloss, und in dem Moment sah sie, dass der Schlüssel darin steckte. Jemand hatte dieses Zimmer vorsätzlich von außen abgeschlossen.
»Juliana.«
Charlotte, die inzwischen von Panik gepackt wurde, drehte den Schlüssel im Schloss um und riss die Tür auf.
Dicke intensiv riechende Rauchschwaden wehten in den Korridor hinaus und hüllten sie ein. Der Rauch brannte in ihren Augen, und sie spürte, wie ihr schwindlig wurde.
Sie wich eilig zurück und zog ihr Taschentuch aus der Handtasche. Nachdem sie mehrmals tief eingeatmet hatte, faltete sie das Taschentuch zusammen und presste es sich auf Mund und Nase.
Sie stürzte in den exotisch eingerichteten Raum. Der Rauch der Essenzen war so dicht, dass es schien, als hinge undurchdringlicher Nebel im Salon. Ihre Augen tränten. Sie konnte sich nicht viel Zeit lassen, um Juliana zu finden. Ihr war klar, dass sie nur so lange in diesem Raum bleiben durfte, wie sie den Atem anhalten konnte.
Fast wäre sie über den niedrigen Wahrsagetisch gestolpert. Sie schaute hinunter und sah, dass etliche Karten aufgedeckt auf dem Tisch lagen. Eine von ihnen war auf den Boden gefallen. Sie stellte eine vermummte Gestalt dar, die eine Sense in der Hand hielt. Ein unmissverständliches Bild des Todes.
Sie lief um das Tischchen herum und warf einen Blick auf den Kamin. Ein in sich zusammengesunkenes Bündel knallroter Satingewänder lag auf dem Boden vor dem scharlachroten Sofa.
Juliana.
Ihre Lunge brannte, als Charlotte auf die Gestalt zurannte, die auf dem Teppich lag. Sie konnte nicht erkennen, ob Juliana tot oder am Leben war, und ihr blieb keine Zeit, um es zu überprüfen.
Mit einer Hand
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