Geliebte Rebellin
lehnte sich auf dem Stuhl zurück, um den Ausgang des Experiments abzuwarten.
Er verließ sich darauf, dass er die Ergebnisse jetzt schon vorhersagen konnte. Er kannte seine Stärken besser als jeder andere. Niemand konnte ihn überbieten, wenn es darum ging, so langweilig wie Haferschleim zu wirken.
Zwanzig Minuten später verließ Baxter das Stadthaus der Arkendales und lief mit einem Gefühl stummen innerlichen Frohlockens die Stufen hinunter. Ihm fiel auf, dass der scharfe Märzwind, der noch vor einer Stunde äußerst kühl gewesen war, ihm jetzt wie eine erfrischende und belebende Brise entgegenwehte.
Mit einem sachgemäß durchgeführten naturwissenschaftlichen Experiment konnte sich nichts messen, wenn es darum ging, Streitpunkte aus der Welt zu schaffen, sagte er sich, noch während er eine vorüberfahrende Droschke an den Straßenrand winkte. Es war zwar nicht gerade einfach gewesen, aber schließlich hatte er sich seinen neuen Posten doch noch sichern können. Er hatte fest damit gerechnet, dass Charlotte Arkendale die einzige Person in diesem kleinen Haushalt sein würde, wenn, und das war mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, sie nicht sogar der einzige Mensch in ganz London war, dem er jemals in einer Menschenmenge aufgefallen wäre.
Er war sich nur nicht ganz sicher, was die seltsamen Vorstellungen, die sie sich von seiner wahren Natur machte, über sie selbst aussagten. Er wusste nur, dass John Marcles Meinung sich bestätigt hatte. Charlotte war eine sehr ungewöhnliche Frau, und einmalig.
Und sie entsprach ganz und gar nicht dem Bild, das man sich von einer Erpresserin und Mörderin machte, dachte Baxter.
2
»Ich weiß überhaupt nicht, warum du dich so aufregst, Charlotte.« Ariel blieb vor einem Tablett mit Eiern stehen, das gemeinsam mit dem übrigen Frühstück auf der Anrichte arrangiert war. »Mr. St. Ives scheint doch genau der zu sein, den du haben wolltest. Ein Sekretär, der keine Aufmerksamkeit auf sich lenken wird, wenn er seinen Aufgaben nachgeht. Und außerdem scheint er in einer blendenden körperlichen Verfassung zu sein. Vielleicht ist er nicht ganz so groß, wie man es sich wünschen würde, aber er ist recht breit gebaut, und seine Schultern wirken kräftig. Ich glaube, er wird sich als Leibwächter sehr gut machen, falls je die Notwendigkeit dazu bestehen sollte.«
»Ich fand ihn eigentlich groß genug.« Charlotte fragte sich verdrossen, warum sie sich genötigt sah, Baxters Statur zu verteidigen. Weshalb hätte es sie stören sollen, dass ihre Schwester fand, es fehlten ihm ein paar Zentimeter zur Idealgröße? »Ich musste aufblicken, um ihm in die Augen zu sehen.«
Ariel lächelte verschmitzt. »Das liegt nur daran, dass du selbst ein wenig zu klein geraten bist. Aber natürlich nimmt sich das bei dir äußerst attraktiv aus.«
Charlotte schnitt eine Grimasse. »Ja, natürlich.«
»In Wahrheit ist Mr. St. Ives keine drei Zentimeter größer als ich.«
»Du bist sehr groß für eine Frau.« Und anmutig und gertenschlank und sehr, sehr hübsch , dachte Charlotte mit einem Anflug von schwesterlichem Stolz. Vielleicht war es auch ein mütterlicher Stolz. Schließlich war sie seit dem Tod ihrer Mutter für Ariel verantwortlich, sagte sie sich.
Und Ariel hatte sich wirklich wunderbar entwickelt. Sie war inzwischen zu einer sehr schönen jungen Dame von neunzehn Jahren herangewachsen. Mit ihrem blonden Haar, den blauen Augen, klassischen Gesichtszügen und einer wahrlich umwerfenden Figur gesegnet, war sie das lebende Abbild ihrer Mutter.
Charlotte war im Lauf der letzten Jahre von vielen Bedenken und Zweifeln geplagt worden. Ihr war nur allzu klar gewesen, dass sie niemals wettmachen konnte, was ihnen abhanden gekommen war. Ariel war erst elf gewesen, als der große, gutaussehende und liebevolle Vater der Mädchen gestorben war. Sie war noch keine dreizehn Jahre gewesen, als die beiden ihre schöne und lebhafte Mutter verloren hatten. Dann hatte Winterbourne das Erbe verspielt, das Ariel in vielen Dingen große Freiheiten zugebilligt hätte, einschließlich der Wahl ihres Ehemannes.
Mehr als alles andere bedauerte Charlotte, dass es ihr nicht möglich gewesen war, ihrer Schwester eine Ballsaison zu finanzieren. Mit ihrem Aussehen, ihrer Figur, ihrem Auftreten und der Bildung, die ihr anfangs von ihrer wunderschönen und intelligenten Mutter vermittelt worden war und die Charlotte anschließend in die Hand genommen hatte, wären Ariel durchschlagende Erfolge
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