Geliebte Rebellin
habe ich bemerkt.«
Sie hätte blind sein müssen, wenn ihr entgangen wäre, wie sich der geschmeidige und muskulöse Umriss seiner Schenkel durch die enganliegende Reithose abgezeichnet hatte, sagte sie sich. Sie ließ die Bilder von Baxter noch einmal vor ihren Augen vorüberziehen, wie er ihr in einem zerknitterten blauen Jackett, einem Leinenhemd ohne Plisseefalten, der konservativen Kniebundhose und den ungeputzten Stiefeln gegenübergesessen hatte. Sie zog die Stirn in Falten. »Seine Kleidungsstücke waren von einer außerordentlich guten Qualität.«
»Ja, aber betrüblich unelegant und altmodisch, sogar für einen Gentleman in seiner Position.« Ariel aß einen Bissen Wurst. »Und der Knoten in seinem Halstuch war äußerst phantasielos. Ich fürchte, unser Mr. St. Ives besitzt nicht das geringste Modebewusstsein, und auch an seinem Geschmack wäre einiges auszusetzen.«
»Von einem Sekretär erwartet man kein Stilempfinden.«
»Genau.« Ariel zwinkerte ihr zu. »Und das ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass er genau das ist, was er zu sein scheint, nämlich ein Gentleman, der dringend eine Stellung braucht. Wahrscheinlich ist er der zweite Sohn einer Familie, die dem Landadel angehört. Du weißt ja, wie das ist.«
Charlotte spielte mit ihrer Kaffeetasse. »Vermutlich, ja.« Es war allgemein bekannt, dass viele zweit und drittgeborene Sprösslinge des Landadels, die nicht den Gutshof der Familie erben würden, sich gezwungen sahen, ihren Lebensunterhalt als Sekretäre zu verdienen.
»Lass den Kopf nicht hängen«, sagte Ariel. »Ich bin ganz sicher, dass der farblose alte Marcle nicht St. Ives zu dir geschickt hätte, wenn dieser nicht die entsprechende Eignung mitbrächte.«
Charlotte beobachtete, wie sich ihre Schwester über die Eier und Würstchen auf ihrem Teller hermachte. Ihr eigener Appetit war morgens normalerweise sehr groß, doch heute war ihr selbst die Tasse Kaffee, die vor ihr stand, zuviel.
»Ich weiß es nicht, Ariel. Ich weiß es einfach nicht.«
»Also wirklich, Charlotte, diese trübsinnige Haltung sieht dir gar nicht ähnlich. Gewöhnlich gehst du morgens mit viel mehr Schwung und Begeisterungsfähigkeit an den neuen Tag heran.«
»Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen.«
Das war eine gewaltige Untertreibung, dachte Charlotte. In Wahrheit hatte sie kaum ein Auge zugetan. Sie hatte sich stundenlang schlaflos herumgewälzt und von einer Seite auf die andere geworfen, denn ein äußerst besorgniserregendes Unbehagen hatte einfach nicht von ihr abfallen wollen. Ariel hatte recht. Ihre Stimmung war heute morgen tatsächlich schlecht.
»Hast du Mr. St. Ives genau erklärt, warum du einen Leibwächter brauchst?« fragte Ariel.
»Nein, bisher noch nicht. Ich habe ihn angewiesen, heute Nachmittag wiederzukommen, damit ich ihm seine Aufgaben und Pflichten ganz genau erklären kann.«
Ariel riss die Augen weit auf. »Soll das etwa heißen, dass er sich keinerlei Vorstellung davon macht, warum du ihn eingestellt hast?«
»Richtig.«
In Wahrheit sah es so aus, dass sie Zeit gebraucht hatte, um über die Situation nachzudenken. Zeit, um sich davon zu überzeugen, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, den enigmatischen St. Ives einzustellen. Es stand eine ganze Menge auf dem Spiel. Aber je länger sie über diese Angelegenheit nachdachte, desto weniger Alternativen schienen sich ihr zu bieten.
Sie war tatsächlich in einer recht verzweifelten Lage.
Ariel legte ihre Gabel hin und sah Charlotte an. »Vielleicht wird er den Posten nicht mehr übernehmen wollen, wenn er erst einmal die näheren Einzelheiten erfährt.«
Charlotte ließ sich Ariels Bemerkung durch den Kopf gehen. Sie wusste nicht, ob sie sich von dieser Aussicht aufgeheitert oder alarmiert fühlen sollte. »Es könnte durchaus sein, dass alles gleich viel einfacher ist, wenn Mr. St. Ives schleunigst von der Stelle zurücktritt, sowie er von der wahren Natur seiner Verantwortlichkeiten erfährt.«
Mrs. Witty tauchte in der Tür des Frühstückszimmers auf. Sie hielt eine frische Kanne Kaffee in ihren breiten, abgearbeiteten Händen. »Sie sollten lieber hoffen, dass er nicht davonläuft, wenn er hört, was er für Sie tun soll, Miss Charlotte. Es ist ja schließlich nicht so, als liefen in London unzählige Männer herum, die gewillt wären, Ihnen bei der Lösung eines Mordfalls zu helfen.«
»Das ist mir durchaus klar.« Charlotte sah sie finster an. »Und deshalb habe ich mich ja auch bereit erklärt,
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