Geliebte Rebellin
plötzlich vollauf damit beschäftigt, den großen Skizzenblock unter ihren Umhang zu stecken. »Trotzdem möchte ich mir die Zeichnungen genauer ansehen. Ich werde diesen Block mitnehmen.« Sie gab den Versuch auf, ihn mit ihrem Cape zu bedecken. Statt dessen presste sie ihn entschlossen an sich.
Baxter nahm ihre akute Nervosität mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. Die Vorstellung, dass sich die furchteinflößende Miss Arkendale von dem Gebrauch des Wortes Phallus aus der Fassung bringen ließ, belustigte ihn.
»Miss Arkendale, ich sehe mich genötigt, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie in den Augen einiger Menschen einen Diebstahl begangen haben, wenn Sie diesen Block an sich nehmen und ihn aus diesem Haus entfernen.«
»Unsinn. Ich will ihn mir doch nur eine Zeitlang ausleihen.«
»Ihn ausleihen?«
»Schließlich stelle ich Nachforschungen an, um die näheren Umstände des Todes meiner Kundin in Erfahrung zu bringen«, erinnerte sie ihn höchst unwirsch. »Ich brauche alle Informationen, derer ich nur irgend habhaft werden kann.«
»Welche Aufschlüsse versprechen Sie sich von einem Skizzenblock, auf dessen Blättern nackte Statuen abgebildet sind?« hakte Baxter nach.
»Wer weiß?« Sie wandte sich abrupt ab und marschierte entschlossen an ihm vorbei. »Kommen Sie. Wir müssen die Räume im unteren Stockwerk noch durchsuchen.«
Baxter fluchte leise und wollte ihr schon folgen, doch er zögerte. Die Neugier und ein Unbehagen, das ihm im Nacken saß, veranlassten ihn, noch einmal ans Fenster zu treten.
Er zog den Vorhang wenige Zentimeter zur Seite und schaute auf die Straße hinunter. Der Ausblick aus diesem Schlafzimmer ähnelte dem aus dem ersten Zimmer, das er und Charlotte durchsucht hatten.
Der Nebel war dichter geworden. Die Gaslaterne auf der anderen Straßenseite war nur noch als ein leuchtender Stecknadelkopf wahrzunehmen, und ihr Schein trug nicht das geringste dazu bei, die Umgebung zu erhellen. Baxter blieb einen Moment lang stehen und bemühte sich, Schatten im Nebel zu erkennen, doch er konnte nirgends eine Bewegung wahrnehmen.
»Kommen Sie, Mr. St. Ives«, rief Charlotte ihm leise aus dem Korridor zu. »Wir müssen uns beeilen.«
Baxter ließ den Vorhang fallen und wandte sich zur Tür. Kein Anzeichen wies darauf hin, dass ihnen draußen im Nebel jemand auflauerte, aber aus irgendeinem Grund verspürte er dennoch keine Erleichterung.
Er folgte Charlotte nach unten.
Kurze Zeit später stieß er die letzte Schublade eines Schreibtischs zu und zog seine Uhr aus der Westentasche. »Wir müssen uns jetzt auf den Weg machen, Miss Arkendale.«
»Nur noch ein paar Minuten.« Charlotte stand auf Zehenspitzen da, um einige Bände, die sie aus einem Bücherregal gezogen hatte, wieder an ihren Platz zu stellen. »Ich bin gleich fertig.«
»Wir können uns nicht noch länger hier herumtreiben.« Baxter griff nach der Lampe.
Sie ließ schnell ihre Blicke über die Bücherregale gleiten. »Aber was ist, wenn wir etwas Wichtiges übersehen haben?«
»Sie wissen doch nicht einmal, wonach Sie suchen. Woher wollen Sie wissen, dass Sie etwas übersehen haben?« Er nahm ihren Arm und führte sie schnell in die Eingangshalle. »Beeilen Sie sich, Miss Arkendale.«
Sie blickte mit einem Anflug von Panik zu ihm auf. »Stimmt etwas nicht, Sir?«
»Erübrigt sich diese Frage nicht?« Er zog sie die Stufen zur Küche hinunter. »Es ist schon nach Mitternacht, und wir vergnügen uns damit, das Haus einer Dame zu durchsuchen, die kürzlich ermordet worden ist. Und zu allem Überfluss haben Sie auch noch vor, einen Gegenstand mitzunehmen, der einstmals der früheren Bewohnerin dieses Hauses gehört hat. Viele Leute könnten durchaus das Gefühl haben, dass diese Situation Anlass zur Sorge gibt.«
»Sarkasmus ist im Moment absolut unangebracht, Sir. Als ich Sie gefragt habe, ob etwas nicht stimmt, hat sich das nicht auf die Befürchtungen bezogen, die Sie zu diesem Projekt bereits geäußert haben. Sie kommen mir mit einem Mal unruhiger vor.«
Er warf ihr einen Seitenblick zu und war verblüfft über ihr Wahrnehmungsvermögen. Sie hatte recht. Seit dem Moment, als er den Mann im Schatten auf der anderen Straßenseite entdeckt hatte, hatten sich seine Unruhe und sein Unbehagen von einer Minute zur anderen gesteigert.
Es war schon lange her, seit er diesen ganz speziellen Schauer zum letzten Mal verspürt hatte, einen
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