Geliebte Rebellin
anderen Ende des Saals eine gute Freundin von mir entdeckt.« Sie wandte sich ab und verschwand schleunigst in der Menge.
»Feigling.«
Er würde der Witwe seines Vaters allein gegenübertreten müssen.
Maryann war zweiundfünfzig Jahre alt. Sie war achtzehn gewesen, als sie Baxters Vater geheiratet hatte. Der Earl war damals dreiundvierzig gewesen. Es war seine zweite Ehe. Seine erste Ehe war kinderlos geblieben, und er brauchte dringend einen Erben.
Maryann, die ungekrönte Ballkönigin der Saison, hätte unter den Männern der oberen Zehntausend, die im entsprechenden Alter waren, eine große Auswahl gehabt, doch auf das Betreiben ihrer ehrgeizigen Eltern hin hatte sie sich Esherton geangelt.
Er dagegen brauchte damals dringend eine jungfräuliche Ehefrau mit einem makellosen Ruf und einem tadellosen familiären Hintergrund. Die Hochzeit der beiden war das größte Ereignis der damaligen Ballsaison. Alle, aber auch wirklich alle, darunter auch Emma, Lady Sultenham, die langjährige Mätresse des Earl, hatten den Festlichkeiten beigewohnt.
Mit ihrer zierlichen Figur, den grauen Augen und dem honigblonden Haar war Maryann in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von Emma. Manchmal fragte sich Baxter, ob sein Vater sie gerade deshalb zu seiner Gräfin auserwählt hatte, weil sie keinerlei Ähnlichkeit mit seiner verwegenen dunkelhaarigen und dunkeläugigen Geliebten aufwies, oder ob es schlichtweg daran lag, dass er die Abwechslung liebte.
Zwei Jahre nach der Eheschließung hatte Emma, die inzwischen siebenunddreißig und sich sicher war, schon lange aus dem Alter herauszusein, in dem sie noch Kinder bekommen konnte, den ersten Sohn des Earl geboren. Esherton hatte sich sehr über Baxter gefreut. Er hatte zur Feier des Ereignisses eine riesige Party veranstaltet. Bedauerlicherweise ließ sich absolut nichts an dem Umstand ändern, dass Baxter ein Bastard war und daher unter keinen Umständen den Titel erben konnte.
Weitere zehn Jahre waren vergangen, ehe Maryann endlich einen Erben für ihren Lord geboren hatte. Baxter war sich durchaus im klaren darüber, dass diese Jahre nicht leicht für sie gewesen waren. Der Earl hatte sich nie die Mühe gemacht, seine Zuneigung zu seinem unehelichen Sohn oder die gewaltige Leidenschaft, die er für Emma empfand, geheimzuhalten.
Baxter gefiel die grimmige Entschlossenheit gar nicht, die er heute Abend in Maryanns Gesichtsausdruck sah. Das verhieß nichts Gutes. Wie immer, wenn er sich zu einer Begegnung mit ihr gezwungen sah, fielen ihm die Gelübde am Totenbett seines Vaters wieder ein, die dafür gesorgt hatten, dass sie einander niemals aus dem Weg gehen konnten, wenn es sich beide Seiten auch noch so glühend wünschten.
Sein Vater hatte sie bis zu dem Tag aneinandergekettet, an dem Hamilton fünfundzwanzig Jahre werden würde. Was sich damals abgespielt hatte, stand ihm heute noch so lebhaft vor Augen, als sei es erst gestern passiert. Er hatte auf der einen Seite des gewaltigen Himmelbetts gestanden. Maryann und Hamilton hatten sich auf der anderen Bettseite postiert.
»Es ist jetzt an der Zeit, dass ich mich von meinen beiden prächtigen Söhnen verabschiede.« Arthur, der vierte Earl von Esherton, hatte sowohl Baxter als auch Hamilton an den Händen genommen. »Ich bin stolz auf euch beide. Ihr unterscheidet euch zwar voneinander wie Tag und Nacht, doch in euer beider Adern fließt mein Blut. Hörst du mich, Hamilton?«
»Ja, Vater.« Hamilton sah Baxter an, und in seinen Augen loderte Abscheu auf.
Der Earl richtete seine Blicke auf Baxter. »Du bist Hamiltons älterer Bruder. Vergiss das nie.«
»Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ich jemals meine Verwandtschaft mit ihm vergessen könnte, Sir.« Baxter spürte, wie ihn seltsames Gefühl von Unwirklichkeit beschlich. Er konnte einfach nicht fassen, dass dieser stämmige, vitale und legendäre Mann, der ihn gezeugt hatte, tatsächlich im Sterben lag.
Eshertons zitternde Hand hatte sich einen Moment lang fester um Baxters Finger gespannt. »Du trägst ihm und seiner Mutter gegenüber die Verantwortung.«
»Ich bezweifle, dass sie jemals etwas von mir brauchen werden.« Baxter spürte die Schwäche in den einst so kräftigen Fingern seines Vaters und musste die Tränen zurückblinzeln, die einen Schleier vor seine Augen zu ziehen drohten.
»Du irrst dich«, flüsterte Arthur heiser. »Ich habe alles ganz genau in meinem Testament festgehalten. Du besitzt die charakterliche Festigkeit, die für den Umgang
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