Geliebte Schwindlerin
ihre Mutter versonnen, „wie sich die Konturen deines Vaters mit dir als winzigem Bündel auf dem Arm vor dem sternenübersäten Himmel abzeichneten und ich mich glücklich pries, von zwei Zauberwesen umgeben zu sein.“
„Ich würde gern einmal einen Stern berühren und in der Hand halten“, hatte Minella sich als kleines Mädchen gewünscht.
„Das wünschen wir uns wohl alle“, hatte ihre Mutter lächelnd gesagt. „Eines Tages, Liebling, wird dir dieses Glück vielleicht beschieden sein.“
„Ich muß daran glauben“, sagte Minella sich in diesem Augenblick, „daß ich unter einem glücklichen Stern geboren bin, dann wird das Glück mir auch hold sein.“
Diese Überlegung bestärkte sie in ihrem Entschluß, der kühn war und sie an einen Ausspruch ihres Vaters erinnerte: „Wer wagt, der gewinnt!“
„Ich reise nach London“, beschloß sie. „Ich werde Connie aufsuchen und sie bitten, mir meinem Vater zuliebe zu helfen.“
Während sie das leise aussprach, empfand sie es als eine gewagte Entscheidung, die ihr Angst einjagte.
Trotzdem mußte sie das Risiko eingehen, denn sie hatte keine andere Wahl, wenn sie nicht in Bath bei Tante Esther versauern wollte.
2
Die Reise nach London war ermüdend und dauerte sehr lange. Minella hatte den größten Teil verschlafen.
Anstrengende Tage im Haus waren vorausgegangen. Sie mußte alles zusammenpacken, was ihr noch gehörte und wovon sie sich nicht trennen mochte, weil es sich um Andenken an ihre Eltern handelte, und war am Abend vor ihrer Abreise todmüde ins Bett gesunken.
Im Garten hatte sie alles verbrannt, was sie nicht mitnehmen wollte, und alles andere in die altmodischen Lederkoffer gepackt, die sie vom Speicher geholt hatte.
Ihr nächster Nachbar, ein Farmer, der ihrem Vater immer sehr zugetan war, hatte ihr freundlicherweise gestattet, alles, was sie nicht mitnehmen konnte, bei ihm unterzustellen.
„In meiner Scheune ist Platz genug“, hatte er gesagt. „Dort können Sie es sich jederzeit abholen.“
„Ich wünschte nur, ich könnte das Haus behalten“, hatte Minella seufzend erwidert.
„Das ist wahr, und im Dorf werden wir alle Seine Lordschaft sehr vermissen, wie er immer über die Felder galoppierte, als gehörte ihm die ganze Welt.“
Minella lachte. Eine bessere Beschreibung ihres Vaters konnte sie sich nicht vorstellen. Obwohl sie immer arm gewesen waren und es ständig unbezahlte Rechnungen gegeben hatte, war das Auftreten ihres Vaters stets voller Selbstbewußtsein und Lebensfreude gewesen.
Diese Haltung hatte auf die anderen Menschen in seiner Umgebung abgefärbt, und Minella konnte verstehen, weshalb Connie ihn den „Herrn des Lichtes und der Heiterkeit“ genannt hätte.
Ein bißchen merkwürdig war es schon, daß sie einen so vertraulichen Ton anschlug, aber es war schon immer Connies Art gewesen, sich ein wenig überspannt auszudrücken.
Ihre Mutter hätte sicher erklärt, das gehöre sich nicht für eine Lady, und sie hatte ihrer Tochter oft eingeschärft, daß man taktvoll und beherrscht sein müsse.
„Am besten ist, Liebes“, hatte sie mit ihrer weichen Stimme gesagt, „mit seinen Gefühlsäußerungen etwas zurückhaltend zu sein, gleichzeitig sollte man aber verständnisvoll und mitleidig sein und Wärme zeigen.“
„Das klingt ziemlich kompliziert, Mama.“
„Ist es aber nicht“, erwiderte ihre Mutter. „Ich möchte nur, daß du das hältst, was dein Äußeres verspricht.“
Minella hatte sie erstaunt angesehen und nicht ganz verstanden, was Mama damit sagen wollte.
Vermutlich wollte sie ihr wie ihr Vater bei jeder Gelegenheit begreiflich machen, daß eine Lady auch ein damenhaftes Benehmen haben müsse.
Die Familie ihrer Mutter stammte aus Nordirland und galt als sehr standesbewußt, obwohl sie über wenig Vermögen und Besitz verfügte, weil sie in direkter Linie vom irischen Königshaus abstammte.
„Ich wünschte, du wärst eine richtige Königin, Mama!“ hatte Minella als ganz kleines Mädchen gesagt.
Ihre Mutter hatte gelacht, und ihr Vater hatte erklärt: „Sie ist eine Königin! Die Königin meines Herzens, und das ist viel schöner und wichtiger, als einsam auf dem Thron von England zu sitzen wie Königin Viktoria.“
In den Geschichten, die Minella sich ausgedacht hatte, war ihre Mutter immer die Königin und sie selbst eine Prinzessin gewesen. Sie hatte davon geträumt, eines Tages einem Prinzen zu begegnen, der wie ihr Vater aussah, den sie heiraten und mit dem sie bis ans
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