Geliebte Suenderin
Vögel. Tautropfen hingen wie Kri-stalle an den Blättern der Bäume und den hohen Gräsern in den Feldern. Sir Jeremy stand schweigend da, mit Luciens Rock, Weste und Krawatte über dem Arm, zusammen mit den anderen Gästen, die es geschafft hatten, so früh aufzustehen. Lucien hatte sein Hemd fast bis zur Taille geöffnet, wodurch die dunklen goldglänzenden Haare auf seiner Brust sichtbar wurden. Er hatte keine Perücke auf, und seine goldenen Locken umrahmten sein Gesicht.
Lucien bog prüfend seinen Degen, dann drehte er sich mit ausdruckslosem Gesicht zu seinem Gegner.
»En guarde!«
Sir Frederick Jensen griff heftig an, und Lucien parierte den Stoß geschickt und wich zur Seite aus. Stark und flink konterte er jeden Angriff seines Gegners.
Sir Frederick kämpfte stürmisch, griff unablässig an, versuchte seinen Gegner mit roher Kraft zu bezwingen, aber Luciens Schnelligkeit und Finesse hielten der Attacke stand, und ganz allmählich wendete sich das Blatt. Sir Frederick, der Untersetz-tere von den beiden, atmete jetzt schwer, und sein Gesicht war vor Anstrengung rot und verschwitzt. Er sammelte seine restlichen Kräfte und stürzte sich wie ein tobsüchtiger Bulle auf Lucien, versuchte mit Gewalt, seine Deckung zu sprengen und seinen einladend nackten Hals zu durchbohren. Aber Lucien wehrte Sir Fredericks wilden Angriff mit Leichtigkeit ab und stieß seinen Degen in die ungeschützte Schulter des Gegners.
Frederick schrie vor Schmerz auf und fiel zurück, das Schwert entglitt seiner Hand. Er umklammerte heftig die blutende Wunde und sank zu Boden.
Lucien trat zur Seite, als der Arzt, der am Rande der Menge bereitstand, herbeilief und sich neben den gefallenen Mann kniete.
»Warum hast du ihn nicht getötet?« fragte Sir Jeremy und hielt Lucien die Weste hin, damit er hineinschlüpfen konnte.
»Das wäre doch sinnlos«, erwiderte Lucien noch ziemlich heftig atmend und mit einem weißen Taschentuch Sir Fredericks Blut von seinem Schwert wischend. »Die Schulterwunde wird ihm genug zu schaffen machen. Ich möchte nicht den Tod eines Idioten auf dem Gewissen haben.«
Der Herzog ging zu seiner Kutsche, reichte seinem Diener seine verdrückte Krawatte und nahm eine neue entgegen, die er sich achtlos umband.
»Tut mir leid, daß ich mich so hastig von dir verabschieden muß, Jeremy, aber ich habe geschäftlich zu tun und« - er hielt inne und beobachtete amüsiert, wie Sir Frederick von einigen mitfühlenden Freunden weggeführt wurde - »Sir Fredericks Genesung soll nicht durch meine Anwesenheit gestört werden.«
»Er kann von Glück sagen, daß er noch am Leben ist«, erwiderte Sir Jeremy angewidert. »Nicht vielen ist so eine Chance vergönnt. Schau ihn dir bloß an. Mein Gott, ich glaube, er ist in Ohnmacht gefallen.«
Der Herzog lachte. »Wir bleiben in Verbindung, Jeremy.« Er verschwand in der Kutsche. Ein Diener schloß die Tür mit elegantem Schwung und sprang dann schnell auf, als der Kutscher dem Gespann die Peitsche gab und sie in einer Fontäne von Schlamm losfuhren.
Sie waren schon seit einigen Stunden unterwegs, hatten nur kurz in einem kleinen Gasthaus zu Mittag gegessen, als plötzlich ein Gewitter ausbrach und innerhalb von kürzester Zeit die Straßen in Schlamm verwandelte, wodurch sie nur noch langsam vorwärts kamen.
Lucien lehnte bequem in seinem Sitz. Er zog die Vorhänge zurück und schaute angewidert auf die schlammige Straße und die trostlose Landschaft hinaus. Das Kutschenrad polterte in ein tiefes Loch, das Gefährt schwankte und warf den Herzog gegen die Wand.
»Verdammt!« fluchte er und wollte dem Kutscher gerade ein paar passende Ausdrücke an den Kopf werfen, als die Kutsche mit einem Mal langsamer wurde und schließlich anhielt.
»Was, zum Teufel -?« fragte Lucien, öffnete die Kutschentür und beugte sich hinaus in den Regen.
Auf der anderen Straßenseite lag eine umgestürzte Kutsche halb im Graben. Die Pferde waren abgeschirrt und wurden von zwei Vorreitern beruhigt. Der Kutscher rieb sich die Schulter, dann versuchten er und ein Diener, die Kutschentür zu öffnen, hinter der Jammern und Stöhnen zu hören war, das immer lauter und hysterischer wurde, bis eine deutlich vernehmbare Ohrfeige dem Einhalt gebot. Anschließend war nur noch gedämpftes Schluchzen zu hören.
»Dio mio!« sagte jemand erbost.
Der Herzog mußte sich das Lachen verkneifen, als er die weibliche Stimme vernahm. »Schau, was du für sie tun kannst«, befahl er seinem Kutscher, der
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