Geliebter, betrogener Mann
ist eben ein schwaches Geschöpf …«
Der Tobsuchtsanfall Tuttis war nach der Injektion und einem zehn stündigen Schlaf vorüber. Gerda Pohland saß die ganze Zeit über neben ihrem Bett und wartete auf ihr Erwachen.
Erschöpft war sie schließlich selbst eingeschlafen, die Stirn auf dem Fußstück des Bettes liegend, und als sie erwachte, gepeinigt von Rückenschmerzen und einem stechenden Ziehen im Leib, sah sie in die großen, blauen Augen Tuttis.
»Mein Liebling!« sagte sie und atmete ein paarmal tief durch, um die Müdigkeit aus sich herauszupumpen, »du bist ja wach.« Sie beugte sich über Tutti, aber das Kind drehte den Kopf weg zur Wand und zog den Körper wie frierend zusammen. Gerda spürte, wie ihr Herz einen Schlag lang aussetzte. »Willst du mich nicht ansehen, Tutti?« fragte sie bittend.
Das Kind schwieg. Es drückte das Gesicht seitlich in die Kissen, unter der Wolldecke ballten sich die Fäuste.
»Hast du Hunger?« fragte Gerda stockend.
Keine Antwort.
»Hast du Durst, Tutti?«
Schweigen.
»Soll ich dich anziehen, und wollen wir draußen in der Sonne spielen? Auf der Wiese … es ist so schönes Wetter draußen.«
Verbissene Stille. Keine Regung. Es war, als liege ein zusammengekrümmter, lebloser Körper unter der weißen Decke.
Eine ganze Zeit saß Gerda stumm neben dem Bett. Sie kam sich wie geschlagen vor, wie vor die Tür getreten, wie verachtet und ausgestoßen. Noch einmal versuchte sie, einen Kontakt zu ihrem Kind herzustellen … sie streichelte sanft über die zerwühlten Haare Tuttis. Das Kind regte sich, aber es zog sich in verbissener Abwehr nur noch mehr zusammen, krümmte sich im Bett und schob den Kopf aus den tastenden, zärtlichen Händen.
Da stand sie auf und verließ schnell das Zimmer.
Als die Tür zuklappte, warf sich Tutti herum und starrte auf die zurückschnellende Klinke. Dann hob sie die Fäuste, streckte sie drohend empor und hieb mit aller Kraft gegen die Wand. Aber sie schrie nicht mehr. In stummer, fast erstickender Wut trommelte sie gegen die Mauer, biß sich die Lippen blutig, wischte das Blut am Kissen ab, stierte auf die hellroten Flecken und zerfetzte dann das Kissen mit wilden Kräften, die niemand in den dünnen, deformierten Armen vermutete. Dann ließ sie sich aus dem Bett fallen, kroch wie ein Käfer durch das Zimmer zum Fenster und zog sich am Fensterbrett hoch auf die Beine.
So fand sie die Stationsschwester, die nach dem Weggang Gerda Pohlands die Wache übernehmen sollte.
»Tutti!« schrie sie und riß das Kind vom Fenster weg.
Das Kind schlug und biß um sich wie eine Wildkatze. Lautlos kämpfte es gegen die Schwester, riß sie an den Haaren, grub die Zähne in die Handballen, spuckte und kratzte, trat sie gegen den Unterleib und warf sich dann mit dem Kopf gegen die Wand, um sich den Schädel zu zertrümmern.
Mit letzter Kraft schleifte die Schwester das lautlos tobende Kind zum Bett zurück, warf sich über den armseligen, unmenschlichen Körper und drückte, während ihr Gesicht zerkratzt wurde, auf die Alarmklingel neben dem Bett. Das schrille Läuten jagte den wachhabenden Arzt aus seinem Zimmer; auch Dr. Dornburg, der sich in seinem Büro um die weinende Gerda kümmerte, rannte hinaus auf den Flur, um auf der elektrischen Anzeigetafel zu sehen, woher der Alarm kam. Doch bevor er die Tür aufriß, wußte er schon, welche Zimmernummer er auf dem Leuchtschild sehen würde.
Es war das letzte Aufflackern eines Aufstandes in Tutti. Von dieser Stunde an verfiel sie in Trübsinn. Stumpf, ohne Regung, lag sie im Bett oder hockte auf der Erde. Sie spielte nicht mehr, sie malte oder zeichnete nicht mehr, sie war nicht zu bewegen, in den Park zu fahren … sie stierte mit hohlen Augen in die Gegend, aß automatisch, was man ihr in den Mund stopfte, gab keine Antwort mehr, sah durch alle hindurch, als seien sie aus Glas … sie starb ab. Das einzige, das in diesem unförmigen Körper gewohnt hatte, ihre Seele, löste sich auf und verflüchtigte sich wie Gas. Sie ließ sich herumtragen, waschen, kämmen, auf das Zimmerklosett setzen, ausziehen und zu Bett legen – ohne äußere Regung, ohne einen Ton. Ein biegsames Stück Holz, weiter nichts mehr.
»Sie will sterben«, sagte Dr. Dornburg erschüttert zu seinen Ärzten, nachdem er Tutti zum wiederholten Male untersucht hatte. »Sie tötet systematisch ihren Lebenswillen ab. Es ist wie eine Kerze, die den letzten Sauerstoff um sich verbrennt und dann erlischt. Und das schlimmste ist – wir
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