Geliebter, betrogener Mann
wieder und legte ein paar Stoffballen neben das Feuer. Dann verließ es die Hütte wieder und schloß die Tür. Pohland wühlte den Ballen auseinander. Es waren thailändische Gewänder: zwei alte, weite, geflickte, schmutzige Hosen, zwei Fetzen von einem Obergewand, wie es die Bauern in den Reisfeldern tragen, zwei Paar aus Maisstroh geflochtene Sandalen mit einer dicken Ledersohle, zwei Gürtel aus grünen, gedrehten Fasern, mit denen man das Obergewand zusammenhielt.
»Kleidung!« rief Pohland. »Doktor! Kleider! Wissen Sie, was das bedeutet? Doktor! Wir leben! Leben!«
Sie umarmten sich wie glückliche Kinder, und es kam eine Freude über sie, eine Art Euphorie, die sie um das Feuer tanzen ließ unter Lachen und sinnlosen Ausrufen. Dann zogen sie die Kleider an und lachten jeder über den anderen, wie er aussah.
Puan Lampun kam in die Hütte. Er brachte zwei andere Thais mit, die sich höflich verbeugten und still ans Feuer setzten.
»Messieurs!« sagte der Alte. »Man soll nicht sagen, daß die Vernunft nicht der wertvollste Bestandteil des Denkens ist. Wir haben alles besprochen … fangen wir morgen an …«
Dr. Wehrmann war von der gynäkologischen Klinik zurückgekom men. Er hatte ein langes Gespräch mit Professor Dr. Kanoldt ge habt und fuhr nun ohne Aufenthalt gleich weiter nach Gut Heid feld zu den Petermanns.
Anna hing im Garten Wäsche auf, und Gotthelf bewegte die beiden Reitpferde Pohlands, als er durch die Wiesen gestapft kam und zunächst Anna um die Hüften nahm. Sie quietschte und wurde rot.
»Aber Herr Doktor!« sagte sie verschämt.
»Ich muß mit euch sprechen.« Dr. Wehrmann winkte Petermann zu, der in der Reitbahn stand und einen Rappen an der Longe traben ließ. »Rüberkommen! Laß den Gaul allein laufen.«
»Gaul?« Anna schüttelte strafend den Kopf. »Wenn das Herr Pohland hört!« Im gleichen Augenblick biß sie sich auf die Lippen und senkte den Kopf. »Verzeihung …«, stotterte sie. »Ich … ich habe vergessen …«
»Schon gut, Anna.« Dr. Wehrmann zerwühlte wieder seine Löwenmähne. »Meinen Sie, mir geht es nicht genau so? Auch für mich ist Herr Pohland nicht tot. Ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß er nicht wiederkommt. Es geht einfach nicht. Verdammt noch mal.«
In der Wohnstube der Petermanns ließ sich Dr. Wehrmann erst einmal eine Flasche Bier einschenken und trank sie genußvoll und stumm. Die Petermanns sahen ihm zu, unruhig hin und her rutschend, tausend Fragen in den Augen.
»Was ist, Herr Doktor?« fragte Gotthelf, als ihm das Schweigen des Arztes fast die Nerven zerriß. »Waren … waren Sie in der Klinik?«
»Ja. Da komme ich eben her.« Dr. Wehrmann lehnte sich zurück und sah Anna nachdenklich an. »Professor Kanoldt ist der Ansicht, daß man eine Tubensterilisation vornehmen sollte. Der Eingriff wäre bei der Sachlage Annas gerechtfertigt.«
»Ist das eine schwere Operation?« fragte Anna leise. Die Angst würgte ihr die Worte ab.
»Im allgemeinen nicht. Wie es bei dir ist, wird sich zeigen.«
»Und dann?« Petermann zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an.
»Dann werdet ihr keine Kinder mehr bekommen. Nie mehr.«
»Und Anna braucht diese Anti-Baby-Pillen nicht mehr zu nehmen?«
»Nein.«
»Und … und es kommt alles wieder … das Gefühl … und … und so …«
»Das wollen wir hoffen, Petermann.« Dr. Wehrmann klopfte an das Glas. »Habt ihr noch 'ne Flasche Bier kalt stehen?«
»Aber ja, Herr Doktor.« Anna lief zum Kühlschrank. Man sah, wie sie sich Mühe gab, ihre Schwäche zu verbergen. Im Schlafzimmer krähte das Neugeborene. Es hatte Hunger, die Zeit der vierten Mahlzeit war schon überschritten. Anna stellte die Flasche Bier vor Dr. Wehrmann und verbarg die bebenden Hände unter der Schürze. »Wann … wann soll ich denn operiert werden?«
»Nicht bevor das Kleine so weit ist, daß man es in Pflege geben kann. Sagen wir, frühestens im Herbst.«
»Und bis dahin muß Anna die Pillen weiter nehmen?«
»Unbedingt.« Dr. Wehrmann sah Petermann groß an. Ein schrecklicher Verdacht war ihm plötzlich gekommen. »Petermann, seien Sie ehrlich: Anna nimmt doch nach wie vor die Pillen?«
»Aber ja, Herr Doktor.«
»Petermann!« Dr. Wehrmann beugte sich vor und umklammerte die Bierflasche. »Wenn Sie eines Tages zu mir kommen und sagen, Anna sei wieder schwanger – ich erschlage Sie. Ich sage es Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit: Wenn Anna wieder schwanger wird, sind Sie ihr Mörder.
Weitere Kostenlose Bücher