Geliebter, betrogener Mann
können dagegen gar nichts tun. Ich habe soviel Kreislaufmittel injiziert, wie ich verantworten kann … fühlen Sie den Puls an … er schläft langsam ein, als hätte ich klares Wasser gespritzt. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen.«
Gerda Pohland erlebte dieses Verlöschen Tuttis nicht mehr in Oberholzen. Nach zwei Tagen erlitt sie einen Nervenschock und wurde in die Klinik Dr. Carstens gebracht. Dr. Wehrmann wurde sofort benachrichtigt, und er tat etwas, was er noch nie in seinem langen Leben getan hatte und wozu er sich bis zu diesem Tage standhaft geweigert hatte: Er flog mit der nächsten erreichbaren Maschine nach München und jagte vom Flugplatz Riem mit einem Mietwagen zu Dr. Carstens. Er wußte, worauf es ankam: Es galt, das werdende Leben in Gerda zu erhalten, das große Erbe Michael Pohlands. Seelische Erschütterungen, wie sie Gerda Pohland in den letzten Wochen erlitten hatte, konnten immer der Anlaß einer Fehlgeburt sein. Das galt es zu verhindern. Nicht mit Medikamenten oder einer psychogenen Therapie, wie sie Dr. Carstens anwandte und von deren Unwirksamkeit in diesem Falle er selbst überzeugt war. Nein, nur die Anwesenheit Dr. Wehrmanns, seine Grobheit und Geradlinigkeit, seine Menschlichkeit und seine psychologische Leitung – nur das allein konnte vielleicht die drohende Katastrophe eines Abortus aufhalten.
»Nun hören Sie mal zu, Gerda!« war das erste, was Dr. Wehrmann sagte, als er mit Gerda Pohland im Garten des Sanatoriums zusammentraf. Sie lag in einem Liegestuhl unter einem Sonnenschirm und sah teilnahmslos in den blauen Himmel und auf die träge ziehenden, geballten, weißen Wolken, die den Sommer mitnahmen und den Herbst ahnen ließen. »Wenn Sie so weitermachen, verlieren Sie auch noch Ihr zweites Kind. Ist das klar verständlich?«
»Lassen Sie mich, Doktor«, sagte Gerda müde.
Wehrmann schüttelte sein Löwenhaupt. »Das könnte Ihnen so passen. Im Gegenteil. Ich bleibe Ihnen auf der Haut wie eine Laus. Und wenn Sie sich kratzen, beiße ich um so mehr. Tutti ist ein Mensch, aber ein armer, kranker Mensch, der jenseits eines wirklichen Lebens steht. Natürlich, sie kann nichts dafür, aber man muß das Leben real sehen, Gerda. Sie haben zu leben für das gesunde Kind, das Sie unter dem Herzen tragen, für Michas Kind, sein Vermächtnis. Sie haben die verdammte Pflicht, nicht den Kopf hängen zu lassen, sondern nur für diese Stunde der Geburt zu leben, einzig allein nur dafür.«
»Tutti liegt im Sterben.« Gerda Pohland legte den Kopf zurück und schloß die Augen. »Dr. Dornburg hat vorhin angerufen. Ich sollte es nicht wissen, aber ich habe es aus einem offenen Fenster gehört. Sie erlischt einfach … sie löst sich auf …«
»Und Sie leben, und das Kind in Ihnen lebt auch. Legen Sie die Hände auf Ihren Leib! Spüren Sie, wie es sich bewegt … Das ist eine neue Welt, die Sie da in sich tragen, ein neuer Mensch, der auf das Licht wartet; ein mit Ihnen und durch Sie atmendes Wesen; noch ein Stück von Ihnen, aber doch schon in allen Anlagen fertig und ein Wunder der Schöpfung. Es ist im Leben nun einmal so, daß die einen gehen und die anderen kommen, daß Geburt und Tod nebeneinander liegen, nur getrennt durch eine Spanne Zeit, die man Leben nennt und die unbegreiflich kurz und doch so ereignisreich ist … Und ein solches neues, reiches Leben liegt in Ihrer Hand! Begreifen Sie diese Verantwortung vor Micha und vor Gott?«
»Ich habe Tutti getötet«, sagte Gerda Pohland leise.
»Quatsch!« rief Dr. Wehrmann grob. »Früher oder später wäre es zu dieser Katastrophe gekommen.«
»Wie unmenschlich rauh Sie sind.«
»Zugegeben. Auch Tutti ist ein fühlender Mensch, ein hilfloses Kind, das immer Kind bleiben wird und das sich mit dem Altern immer schrecklicher verändern wird. Gerda!« Dr. Wehrmann ergriff ihre Hände und zog sie zu sich. Er zwang sie damit, ihn anzusehen. »Seien Sie ehrlich! Haben Sie nie im stillen gedacht: Mein Gott, wenn du Tutti erlösen könntest …«
Gerdas Kopf fiel auf die Brust. Sie wäre zurückgefallen, wenn Wehrmann sie nicht an den Armen gepackt hätte.
»Ja«, sagte sie kaum hörbar. »Ja, das habe ich.« Und plötzlich schnellte sie vor und umklammerte Dr. Wehrmanns Schulter. »Das war Frevel! Sagen Sie, daß es ein Frevel war!« schrie sie mit überschlagender Stimme. »So darf keine Mutter denken. Ich habe mich an meinem Kind versündigt!«
»Ruhe, Ruhe …« Dr. Wehrmann drückte Gerda Pohland in den Liegestuhl zurück
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