Geliebter, betrogener Mann
›eins-zwei-drei, wer hat den Ball‹ spielt!«
Sie sah aus dem Wagenfenster und hielt plötzlich Pohlands Arm fest.
»Wohin fährst du eigentlich? Das ist doch nicht die Straße nach Heidfeld!«
»Nein. In die Stadt. Ich fahre zu Dr. Wehrmann.«
»Was sollen wir denn da?«
»Du hast gesagt, du seist krank. Kranke brauchen einen Arzt.«
»Ach, blamieren willst du mich? Bloßstellen? Du – mich?« Sie schrie und hieb auf seine Hände, die das Lenkrad umklammert hielten. »Du, der du jeder Hure nachrennst, du hast es nötig, mich … mich …« Ihre Stimme überschlug sich. Dann setzte sie sich quer und schlug Pohland ins Gesicht. Dreimal, mit der flachen Hand.
Michael Pohland nahm die Hände nicht vom Steuer. Sein Blick glitt auf den Tachometer. 130 km/h. Die Straße vor ihm war gerade wie mit dem Lineal durch die Landschaft gezogen.
»Wehr dich doch, du Feigling! Wehr dich! Aber nur bei diesen geilen Weibern bist du der starke Mann!« schrie Lisa.
In diesem Augenblick bremste Pohland. Nicht, weil ihm ein Wagen entgegenkam, der ihn blendete, sondern in dem Bestreben, anzuhalten und zum erstenmal das zu tun, was er als das Niedrigste im Leben eines Mannes ansah: Seine Frau wiederzuschlagen. Er konnte nicht anders, er spürte, daß nur dies, diese Tat, ihn erleichtern konnte, ihn befreite von einem wahnsinnigen Druck.
Dann – schneller, als er es erfassen konnte – schleuderte der schwere Wagen, drehte sich dreimal um sich selbst und krachte gegen einen der Straßenbäume. Lisa Pohland wurde beim Aufprall aus der aufspringenden Tür geschleudert. Sie fiel auf die Straße, mit dem Kopf zuerst, und brach sich das Genick.
Ja, so war das gewesen. Damals … Michael Pohland sah auf, nahm den dünnen blauen Schnellhefter und schloß ihn wieder in den Tresor.
So war es. So und nicht anders. Ich habe Lisa getötet in dem Augenblick, als ich bereit war, sie zum erstenmal zu schlagen. Wen kümmert es, daß ich in diesem Augenblick im Inneren selbst tot war? Welches Gericht erkennt das an?
Dr. Corbeck erfand den Wagen mit den blendenden Scheinwerfern, er erreichte einen Freispruch. Die Wahrheit lag hinter doppelten Panzertüren … die letzten drei Seiten des dünnen Schnellhefters enthielten Michael Pohlands Geständnis. Man würde es erst lesen, wenn er begraben war. Aber ob man ihn verstehen würde …?
Er trat an das große Fenster und blickte über seine Fabriken. Ich habe Gerda auch belogen, dachte er. Ich habe dieses neue Glück mit einem Betrug begonnen. Ist das Schicksal so prompt, daß es mir meine Lüge jetzt heimzahlt? Ich wollte alles vergessen in dieser neuen Liebe.
Aber es gibt kein Vergessen. Es gibt nur einen Tag, an dem man bezahlen muß.
Spät am Abend – nach drei Rasten auf der Autobahn – kamen sie in dem kleinen Ort Oberholzen an. Der Gasthof, gleichzeitig Metz gerei, hatte zwei Zimmer frei. So oft kamen Fremde nicht nach Oberholzen, daß man ausverkauft war.
»Ah, die Frau Sanders«, sagte der Wirt. »Mal wieder da? Ihr altes Zimmer, wie immer?«
»Bitte.«
Dr. Wehrmann sah sich um. Eine saubere Gaststube hatte dieser Gasthof ›Zur Sonne‹. Und einen guten Wein, das ahnte er. Was ihn verblüffte, war die Vertrautheit des Wirtes. Gerda Pohland war hier also bekannt, sie hatte ihr festes Zimmer in der ›Sonne‹. Er fühlte, wie ihn Spannung überkam. Ich bin ein Mitverschworener, dachte er. Ich werde ein Geheimnis kennenlernen, das mich jetzt selbst reizt.
Gerda Pohland gab Dr. Wehrmann den Schlüssel von Zimmer 4. »Wir treffen uns zum Essen wieder, Doktor. Für das … das andere ist es jetzt zu spät. Da müssen wir bis morgen warten.«
In der Nacht schlief Dr. Wehrmann schlecht. Er stand lange an dem kleinen Kammerfenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Ein kleiner Ort, eine Kirche mit Zwiebelturm, um sie herum die Häuser mit den geschnitzten Vordächern, den Sinnsprüchen in den Balken, den bunten Wandmalereien. Dahinter die Berge, erst sanft ansteigend, dann abrupt – schwarze Riesen, die den Himmel abschlossen.
Dr. Wehrmann legte sich wieder ins Bett. Man ist so alt geworden, dachte er, aber immer wieder kommt etwas, das einem das Leben völlig anders erscheinen läßt.
Am nächsten Morgen – nach dem Frühstück, in guter Bauernart mit Eiern, Schinken, Wurst und großen, runden Brotschnitten – setzte sich Gerda ans Steuer.
»Ich habe angerufen«, sagte sie. »Man erwartet uns.«
»So?« Dr. Wehrmann sah sie von der Seite an. Er konnte sich nicht denken,
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