Geliebter, betrogener Mann
müssen doch einsehen, daß ich, wenn ich mit einer so entzückenden Frau wie Ihrer Frau eine größere Reise unternehme, wenigstens Zahnbürste und Schlafanzug mitnehmen muß. Ich weiß schließlich, was sich gehört.«
»Sie wollen mit Gerda verreisen? Doktor!« Pohland wollte wieder zugreifen, aber Dr. Wehrmann entzog sich dem Griff durch einen schnellen Schritt nach hinten. »Sie haben also etwas erreicht. Sie haben Gerdas Seele aufgebrochen …«
»Nichts habe ich bisher. Wir fahren nach Süddeutschland. Nicht einmal den Ort kenne ich. Noch weniger, was ich dort soll. Und überhaupt nichts kann ich versprechen.«
Michael Pohland wandte sich ab. Im Mädchentrakt des Hauses schellte eine Glocke. Gerda Pohland rief eines der Hausmädchen zur Hilfe. Dr. Wehrmann sah auf seine altmodische Taschenuhr.
»Trinken wir noch einen«, sagte er. »Aber nur einen kleinen. Ich muß ja gleich in den Süden fahren.«
»Halten Sie es für möglich, daß Gerda unheilbar krank ist?« fragte Pohland heiser. »Daß sie es mir verheimlichte? Doktor, sagen Sie mir alles! Ich kann die Wahrheit ertragen. Wenn es das ist … sie soll ein Leben haben wie im Märchen. Ob ich später daran zerbreche, Doktor … später … das bleibt abzuwarten.«
Dr. Wehrmann schüttelte den Kopf. »Ihre Frau ist gesund. Das ist das einzige, was ich Ihnen mit Gewißheit sagen kann. Glauben Sie es mir?«
Pohland zögerte, dann sagte er fest und sichtlich erleichtert: »Ja, Doktor. Ich bin zutiefst glücklich. Wenn es nicht das ist. Alles andere wird sich entwirren lassen.«
Dr. Wehrmann hütete sich, diesem Optimismus zu widersprechen. Zwar ahnte er nicht im geringsten, was ihn in Süddeutschland erwartete, aber so einfach sind Probleme nicht zu lösen, wenn sie alles umfassen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Nach der Abfahrt Gerdas und Dr. Wehrmanns hielt es Michael Pohland nicht mehr allein auf Gut Heidfeld aus. Er ließ sich nach Ebenhagen fahren und verwirrte wieder die Direktion, die mit einer dreiwöchigen Flitterwochenzeit gerechnet hatte und anschließender Erholung irgendwo an der Riviera. Er besaß einen hervorragenden Mitarbeiterstab, der zum Teil schon in der dritten Generation den Pohland-Werken diente. Lediglich die großen Geschäfte liefen durch das Büro Michael Pohlands, die Millioneninvestitionen im Ausland und in den Entwicklungsländern. Hier spielte die gesellschaftliche Note eine große Rolle, die Repräsentation eines großen Konzerns . Und es wurde neidlos anerkannt, daß die Person Michael Pohland immer ein Mittelpunkt war, wo es galt, eiskalte Managerherzen aufzuschließen und Vorurteile wegzuräumen.
Aber die Erwartung auf neue Konferenzen und die bei Untergebenen so beliebten Berichterstattungen – Na, Herr Dr. Pfleiger, wie hoch waren die Produktionszahlen der Walzenstraße I in der vorigen Woche? Haben Sie die Tabellen mit? –, diese Gespanntheit, was der Chef, jugendlicher geworden durch eine neue Ehe, an Elan in die Firma tragen würde, wurde enttäuscht.
Michael Pohland schloß sich in seinem riesigen Zimmer ein und ließ durchgeben, daß er nicht zu sprechen sei. Selbst nicht für Dr. Corbeck. Das war ein ungutes Zeichen. In den Abteilungen richtete man sich auf ein Gewitter ein.
In der Außenwand des Chefzimmers war ein Tresor eingelassen. Er war absolut diebessicher, denn niemand würde sich in schwindelnder Höhe draußen an ein Hochhaus hängen, um eine Wand aufzubrechen. Vom Zimmer aus schützte eine doppelte Stahltür mit riesigen Bolzen den Inhalt. Es gab nur zwei Schlüssel für diesen Tresor; einen trug Pohland in seiner Tasche, der andere lag in einem Banksafe, das nur nach Pohlands Tod von dem von ihm genannten Erben geöffnet werden durfte.
Nervös schloß Michael Pohland die doppelt gesicherte Panzertür auf. Im Inneren des Tresors lagen einige Akten, Zeichnungen, geheime Formeln, Aktienpakete und andere Dokumente. In einem kleinen Fach aber lag nichts weiter als ein dünner, blauer Schnellhefter, ohne Aufschrift, ohne Kennzahl. Diesen Schnellhefter holte Pohland heraus und trug ihn zu seinem Schreibtisch. Er setzte sich, starrte vor sich auf die blanke Tischplatte und rieb sich mit der Hand über die Augen, ehe er den Deckel der dünnen Akte aufschlug.
Ein amtliches Schreiben lag zuoberst. Eine Ladung zu einem Gerichtstermin. Verhandlung gegen den Industriekaufmann Michael Pohland, wohnhaft Ebenhagen, wegen fahrlässiger Tötung. Das Datum der Ladung war schon zwei Jahre alt.
Pohland
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