Geliebter, betrogener Mann
sehe es an Ihrem Blick, Kollege, daß Sie da anders denken.«
Dr. Wehrmann dachte wirklich anders. Er kannte Gerda nicht so lange wie Dr. Dornburg, aber er glaubte, sie trotzdem besser zu kennen. Schock mit Gegenschock heilen, das ist zwar eine alte Therapie der Psychiatrie bei bestimmten Psychosen, vor allem hysterischer Art, aber er empfand ein Gefühl der Angst vor dieser Methode, die Angst, damit für alle Zeiten alles zu verderben.
»Was tun?« Dr. Wehrmann griff zum Glas und nippte nur an dem köstlichen Wein. Er fand ihn sauer; alles schmeckte in diesen Stunden sauer oder nach Galle.
»Sie wollen es Micha sagen, nicht wahr?« Gerdas Stimme schwankte.
Dr. Wehrmann schüttelte den Kopf. »Nein, Sie haben mein Wort, Gerda. Obgleich ich es für vernünftiger halte, wenn wir Micha …«
»Ich weiß, ich weiß. Die Logik. Aber hier gibt es keine Logik, nur Angst.«
»Unbegründete Angst.«
»Das sagen Sie.«
»Das sage ich als Arzt.«
»Aber ich glaube es nicht.« Gerda Pohland legte beide Hände über die rotgeweinten Augen. »Wenn ich daran denke, daß Micha vor mir steht und sagt: ›Warum hast du nicht verhindert, daß …‹ Nein! Nein!« Sie schüttelte in verzweifelter Wildheit den Kopf. »Ich liebe ihn, Doktor, und ich habe ihn geheiratet, obwohl … Das ist so schrecklich …«
Dr. Wehrmann beugte sich vor und hielt ihre Hände fest. »Wir werden einen Weg finden, Gerda. Wenn Sie Vertrauen zu mir haben …«
»Operieren lasse ich mich nicht.«
»Das ist nicht nötig.«
»Alles andere ist Illusion.«
»Die moderne Medizin hat Illusionen realisiert. Auch das kommt vor. Krebs, Multiple Sklerose, Leukämie … darum kämpfen wir noch; vor ihnen stehen wir noch mit fast leeren Händen, mit dem Skalpell und verschiedenen Bestrahlungen und erleben immer wieder, täglich, stündlich unsere Niederlage. Aber in einigen anderen Fällen wurden Träume Wirklichkeit.«
Gerda Pohland stand abrupt auf. »Sie wollen mich nur trösten – oder Sie machen sich lustig über mich!« Ihre Stimme brach wieder. Aber in ihre Augen trat ein feuriger Glanz. Wehrmann sah es mit Erschrecken. Es war die Entschlossenheit, die einen Menschen überkommen kann und gegen die nichts mehr half, auch wenn man die Katastrophe kommen sah. »Sie haben nun alles gesehen, Doktor. Ihre Worte zeigen mir, daß auch Sie sich in Sarkasmus flüchten, weil Sie keine andere Waffe haben. Ich wollte Micha glücklich machen … wie, das habe ich mir nie überlegt, weil das, was man Eheglück nennt, zwischen uns nicht sein kann. Gehen Sie bitte eine Stunde im Ort spazieren. Wenn Sie zurückkommen, wird niemand wissen, wohin ich gefahren bin.«
»Halten Sie mich für einen verkalkten Trottel?« Dr. Wehrmann sprang ebenfalls auf. Er war ehrlich wütend und unterdrückte es auch nicht. »Wir fahren nachher zurück nach Ebenhagen. Sie glauben, Sie leben in einem ewigen Dunkel; dabei brauchen Sie nur eine Tür aufzustoßen, und Sie stehen in der goldensten Sonne. Aber das müssen Sie allein tun, da kann Ihnen keiner helfen. Ich kann nur versuchen, Ihnen dieses Dunkel erträglich zu machen. Packen Sie Ihren Koffer! Und dann los nach Hause! Ich bin überzeugt, wenn Michael wüßte …«
»Sie haben mir Ihr Ehrenwort gegeben, Doktor!«
»Himmel noch mal! Ich halte es auch! Wenn man Sie nicht medizinisch überzeugen kann, muß es das Leben selbst tun. Das nackte Leben, die Entscheidung Entweder-Oder – und sie kommt, meine Gnädigste. Sie kommt einmal in jedem Leben.«
Dr. Wehrmann stampfte an Gerda Pohland vorbei die Treppe hinauf in sein Zimmer. Sie starrte ihm nach, bleich, aufgelöst, am ganzen Körper bebend. Sie verstand ihn nicht, und er verstand sie nicht.
Eine Stunde später verließen sie Oberholzen wieder. Sie blickten nicht zurück in den kleinen Ort und das Seitental mit dem großen, grauen Haus.
Dr. Wehrmann fuhr den Wagen. Auf dem Hintersitz saß Gerda Pohland und weinte still. Kein Wort fiel zwischen ihnen, und um die Stille zu überbrücken, stellte Wehrmann das Radio an. Erst in Ebenhagen, spät am Abend, sagte er wieder etwas. Er hielt vor seinem Haus und wandte sich zu Gerda um.
»Wir gehen erst zu mir. Wenn ich Ihrem Mann alles erzählen dürfte, wäre es leichter. So machen Sie mich zu einem Mitverschwörer. Kommen Sie!«
Während Gerda auf Gut Heidfeld zurückkehrte, fuhr Michael Pohland nach Ebenhagen. Dr. Wehrmann hatte ihn angerufen. Auf der Chaussee begegneten sich die beiden Wagen und bremsten neben einander. Pohland
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