Geliebter, betrogener Mann
werde fast verrückt bei dem Gedanken, daß unsere Kinderlosigkeit auf ein Versagen meinerseits zurückzuführen wäre, und dabei nimmt Gerda die Anti-Baby-Pille. Dieser Schock …«
»Bitte, dramatisieren Sie nicht, Herr Pohland.« Dr. Wehrmann drehte sich vom Fenster weg. »Können Sie sich nicht denken, was geschehen würde, wenn Gerda plötzlich erführe, sie wäre schwanger? Dagegen ist Ihr Schock ein harmloses Zittern der Nerven. Wir müßten sie wieder wegbringen zu Dr. Carstens in das Sanatorium, und ich wüßte nicht, ob ich Ihnen sagen könnte: Sie bekommen Ihre Frau wieder. Ihre Angst vor einem neuen verkrüppelten Kind ist so groß, daß das Bewußtsein neuer Schwangerschaft sie glatt um den Verstand bringt. Ich könnte Ihnen jetzt einen langen Vortrag aus der Psychiatrie halten, warum das so ist; ich könnte Ihnen von den Versuchen des Amerikaners Selyes und seiner Streßlehre erzählen, von der Psychosomatik, die man heute noch kaum beachtet und die man so gerne als Grenzwissenschaft abschieben will – aber das verstehen Sie ja alles nicht.«
»Natürlich. Sie halten mich für einen Emporkömmling. Für eine Wirtschaftswunderblüte ohne Duft. Für einen Dämlack, der das Glück hatte, einen Fabrikanten zum Vater zu haben. Er hatte Glück, machte einen Konzern aus der Fabrik, wurde Millionär, aber sonst ist in seinem Gehirn nur Platz für Partys und Jagdessen.«
»Kommen Sie her!« Dr. Wehrmann seufzte und zeigte auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch. »Ich will es Ihnen erklären. Wenn Sie beginnen, einzuschlafen, sagen Sie es mir, ich nehme es Ihnen nicht übel.« Dr. Wehrmann fuhr sich mit den Händen durch seine Löwenmähne und seufzte wieder.
»Es gibt zwei Sätze, die ich behalten habe, selbst wenn ich andere wichtige Dinge vergaß. Der eine Satz stammt von Plato und lautet: ›Das ist der größte Fehler bei der Behandlung von Krankheiten, daß es Ärzte für den Körper und Ärzte für die Seele gibt, wo beides doch nicht getrennt werden kann.‹ Und den zweiten Satz sagte Professor Dr. Alexis Carrel vom Rockefeller-Institut für ärztliche Forschungen: ›Wer die Erscheinungen des Lebens erforscht, der ist wie im dichtesten Urwald verirrt, mitten in einem Zauberwald, dessen zahllose Bäume ununterbrochen ihre Plätze und ihre Gestalt verändern. Eine Masse von Tatsachen bricht zermalmend über einen solchen Forscher herein. Er kann sie wohl beschreiben, aber es ist ihm unmöglich, sie in algebraischen Gleichungen auszudrücken.‹«
»Das haben Sie gut auswendig gelernt, Doktor«, sagte Pohland sarkastisch.
»Ich habe es ja gesagt: Sie sind zu dumm, hier die Wurzel der Krankheit Ihrer Frau zu finden. Ich will Ihnen ein Beispiel erzählen, das nicht von mir, sondern von Professor von Weizsäcker stammt. Die Entstehung eines unheilbaren, chronischen, körperlichen Leidens aus einer seelisch bedingten, funktionellen Störung … oder ganz klar: Eine kranke Seele erzeugt eine unheilbare körperliche Krankheit. Diese Tragik eines Menschen erfolgt in drei Stufen: Erst lösen seelische Konflikte funktionelle Störungen aus. Nehmen wir Sie, wenn Sie seelisch labil wären. Sie sehen, daß die Konkurrenz einen besseren Stahl produziert, daß sie mehr Exporte hat, daß sie Sie aus dem Handel hinausboxt, daß sie Sie glatt überrundet. Der ungeheure Ärger führt unweigerlich zu nervösen Magenkrämpfen, zu Gallensteinbeschwerden, Sie nehmen Medikamente, fahren zur Kur, man überdeckt die Krankheit bloß – denn der Ärger, das auslösende Moment, bleibt ja. Man erkennt nicht den seelischen Konflikt. Psychotherapie ist ja beim Schulmediziner so etwas wie ein rotes Tuch. Das war also der erste Akt der Tragödie.«
Dr. Wehrmann ging zu einem Schrank, nahm eine Flasche Kognak heraus, goß Pohland und sich ein und trank sein Glas in einem Zug leer.
»Akt Nummer zwei. Die funktionellen Störungen führen zu Organveränderungen, die man in gewissem Grad auch noch bereinigen kann. Eine Gallenblasenentzündung, Gallensteine, ein Magengeschwür, am Ende Eiterungen. Der Arzt bemüht sich redlich, er schneidet heraus, er pumpt hinein … aber die Seele, Himmel, die beachtet keiner! Und der Ärger bleibt, die Konkurrenz holt immer weiter auf … Sie haben keine Galle mehr, aber eine völlig zerrüttete Seele. Prost.«
Dr. Wehrmann trank wieder. Pohland nippte nur an seinem Glas. Die Erzählung Dr. Wehrmanns erschütterte ihn zutiefst. Langsam begann er zu begreifen, wie schwer Gerda erkrankt war und was
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