Geliebter Boss
überwältigt. »Alle Menschen müßten dies sehen!«
»Hoffentlich nicht alle! Ich wüßte ein paar, denen ich hier nicht gern begegnen möchte. Komm!«
»Wohin?«
»Man soll an offenen Kirchen nie vorübergehen.«
Sie treten in die Markuskirche ein, vor deren Toren sich die Menschen stauen.
Drei Wächter in braunen Kitteln stehen in den Türen und machen ohne Verbindlichkeit aufmerksam, daß Frauen und Mädchen nicht mit bloßem Kopf die Kirche betreten dürfen. Sie stehen hier wie Soldaten auf Wache, kein ärmelloses Kleid entgeht ihren Augen, und sie verweisen die sommerlich Gekleideten auf die Verkaufsstände neben der Dommauer, an denen Kopftücher und Schals feilgeboten werden. Vielleicht sind diese groben Kustoden mit den Wucherinnen verheiratet, weil sie gar so hinter ihrer Pflicht her sind.
»Sie nehmen’s von den Lebendigen!« sagt Zanders, als er zurückkommt und für Birke eine schwarze Spitzenmantille gekauft hat.
Sie betreten die Kirche durch das rechte Tor.
Das Mosaik des Domes liegt ganz tief, als wolle das Meer schon morgen über die Steine hinwegsetzen, was es an einigen Sturmtagen im Jahr schon sowieso tut.
»Eines Tages wird Venedig wieder im Meer verschwinden«, sagt Zanders. »Weißt du, daß alle Häuser und Paläste in Venedig auf Pfahlrosten, auf einem Rost von Eichenpfählen stehen, die bis zu neun Meter tief in den Meeresschlamm eingerammt wurden?«
»Unser Hotel auch?«
»Unser Hotel auch. Hast du Angst?«
»Nur Angst, dich zu verlieren. Kannst du schwimmen?«
»Das würde uns wenig nützen, wenn die Eichenpfähle nachgeben.«
»Sie sollen wenigstens warten bis zu unserem letzten Tag. Dann sterbe ich gern. Was nach dir kommt, ist nicht mehr wichtig für mich.«
Sie haben die Kirche wieder verlassen.
Birke schlägt vor dem Hinausgehen ein Kreuz.
»Tu es auch, Peter!«
»Über die Stirn?«
»Über die Stirn, daß sie nichts Unrechtes denkt — über den Mund, daß er nichts Häßliches spricht — über dem Herzen, daß es immer für mich schlägt.«
»Für eine moderne Büroangestellte bist du reichlich romantisch!« sagt Peter.
Aber er tut es, ihr zuliebe.
Als sie aus der Kirche heraustreten, spielt die Militärmusik f die Barcarole aus »Hoffmanns Erzählungen« von Offenbach, Kein Konzert in Venedig, das ohne die Barcarole als Schlußstück , als Zugabe, endet.
»Hoffmann — die Barcarole —, das erinnert mich, daß es Zeit . ist, essen zu gehen«, sagt Zanders. »Die > Barcarole < ist ein kleines Weinlokal, sein Besitzer ein Deutscher, ein gewisser Doktor Hoffmann — man ißt bei ihm vorzüglich. Es gibt dort die besten Langusten der Welt.«
»Ich habe noch nie eine Languste gegessen. Wie schmeckt sie?«
»Wie Hummer.«
»Ich habe auch noch keinen Hummer gegessen.«
»Da wird es allerhöchste Zeit. Komm!«
Tauben fliegen auf, Tauben fliegen zu.
»Peter, bitte! Laß mich erst die Tauben füttern!«
»Jetzt? Am Abend?«
»Sie haben genauso Hunger wie ich und du.«
»Ich fürchte, der Mais wird ihnen am Abend schwer im Magen liegen.«
»Sind Langusten leichter?«
»Wir gehen hinterher zusammen tanzen.«
Birke jubelt auf.
»Fein, Peter!«
»Wir haben noch nie zusammen getanzt.«
»Wir haben auch noch nie zusammen Tauben gefüttert«, sagt Birke.
»Das ist immerhin ein Argument.«
Peter winkt einen kleinen Italiener heran und kauft ihm zwei Tüten Taubenfutter ab.
»Schütte die Körner in die Hand«, sagt er.
»Wozu?«
»Du wirst sehen — halt dich still!«
Die umhertrippelnden Tauben fliegen hoch, setzen sich federleicht auf Birkes Hand und beginnen, nach den Körnern zu picken.
»Das kitzelt!« lacht Birke. »Wie vorsichtig sie sind!«
Ein Fotograf nähert sich ihnen.
Zanders wehrt ihn ab.
»Danke! Wir fotografieren selber!«
Der Fotograf klatscht wütend über das entgangene Geschäft in die Hände, daß die Tauben auffliegen.
»Jetzt haßt er dich, Peter!« sagt Birke.
»Sonst hätten wir jetzt einen perfekten Steckbrief.«
»Daran habe ich nicht gedacht.«
»Gut, daß du mich hast!«
Er deutet auf eine ältere, wohlbeleibte Dame im karierten Buntseidenen, die ein Maiskorn zwischen ihre Lippen nimmt.
»Paß auf! Jetzt wird gleich eine Taube kommen und ihr im Flug das Korn von den Lippen holen — junge Taube küßt alte Dame!«
»Ich finde das abscheulich!«
»Die Dame ist auf die Zärtlichkeit der Taube angewiesen, du nicht.«
»Jetzt finde ich dich abscheulich!«
Aber sie lacht ihn an, als ob sie ihn keineswegs
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