Geliebter Feind
durchscheinenden Hauben auf und führte sie sich an die Lippen. Der Duft von Kathryns Haar hing noch in dem Stoff - doch wo war sie selbst? Erst jetzt fiel ihm auf, daß Brennas Wiege leer war. Überhaupt erschien ihm alles hier so still wie ein Grab.
Ein Geräusch von der Tür her ließ ihn herumfahren. Gerda stand dort. Sie hatte die Hände fest zusammengepreßt und wirkte restlos verstört.
„Wo ist die Lady Kathryn?"
Gerda schwieg, doch die Furcht in ihren Augen sagte Guy genug. Schmerz erfaßte sein Herz, und dann flammte die wilde Wut in ihm auf. Die zarte Haube in seinen Händen flog zerrissen zu Boden.
„Bei allen Heiligen!" stieß er hervor. „Sie ist fort, nicht wahr?
Und sie hat Brenna mitgenommen!" Er ließ Gerda überhaupt nicht zu Wort kommen. „Ich brauche wohl nicht erst zu fragen, ob sie nach Ashbury gereist ist."
Sein Zorn verängstigte Gerda sehr. „Herr", begann sie mit zitternder Stimme, „bald nachdem Ihr und Eure Mannen aufgebrochen wart, kehrte Sir Roderick allein hierher zurück und. ."
„Roderick, dieser schurkische Bursche! Kathryn ist mit ihm gegangen?" Als Gerda unglücklich nickte, stieß er wüste Verwünschungen aus. Er wollte sofort aus dem Gemach stürmen, doch das Mädchen hielt sich an seinem Arm fest.
„Herr! Werdet Ihr ihr nachreiten?"
„Jawohl, das werde ich! Ich will meine Tochter wiederhaben, doch verdammt will ich sein, wenn ich ihre Mutter zurückneh-me. Ich weiß nicht, ob sie Roderick oder Ashbury begehrt, doch sei es, wie es wolle - sie hat ihre Wahl zum letztenmal getroffen, und damit soll sie nun auch leben."
Gerda begann zu weinen. „Es ist nicht so, wie Ihr denkt, Herr.
Ja, sie ist mit Sir Roderick nach Ashbury aufgebrochen, doch ich vermag nicht zu glauben, daß sie das freiwillig getan hat.
Herr, ihr liegt nichts an Roderick! Das weiß ich ganz sicher in meinem Herzen, und ... und Ihr solltet das ebenfalls wissen."
Gerda konnte nicht ahnen, welcher Schmerz Guy das Herz zerriß. Wie kann ich Kathryn jetzt noch lieben? fragte er sich bitter, um sich gleich darauf einen Narren zu schelten. Was Wunder, daß sie ihm nicht in Liebe zugeneigt war!
Er hatte sie schließlich von allem fortgerissen, das ihr lieb und teuer gewesen war. Er hatte mit ihr gespielt, hatte ihr die Unschuld gestohlen und hatte sie an sich gebunden, ohne nach ihren Wünschen zu fragen. Er hatte ihr nicht die Wertschätzung und die Zärtlichkeit angedeihen lassen, die einer Gattin zukam.
Er war ständig argwöhnisch und mißtrauisch gewesen. Heilige Mutter Gottes! Wünschte ihm nun seine eigene Gemahlin den Tod?
Gerda zog an seinem Arm. „O Herr, verurteilt die Lady Kathryn nicht zu schnell und zu hart! Gott möge mir meine Rede vergeben - doch könnt Ihr nicht sehen, was Ihr ihr bedeutet? Die Herrin würde sich niemals freiwillig einem anderen Mann zuwenden, sei es Sir Roderick oder sonstjemand."
Stumm blickte der Earl die Magd an. Hatte Kathryn ihm nicht auch einmal vorgeworfen, er sei blind? Er hörte wieder ihren Aufschrei: „Wißt Ihr nicht, daß ich euch liebe?"
Kathryn war stark und hitzig. Sie würde ihn eher verfluchen und bis ans Ende aller Zeiten gegen ihn kämpfen, als sich ihm zu ergeben. Und auf gar keinen Fall würde sie ihm leichtfertig ihre Liebe schwören . . . Ungeahnte Freude durchströmte ihn. Trotz aller Zweifel und Befürchtungen wußte Guy plötzlich mit absoluter Gewißheit, daß er es gemerkt haben würde, falls sie gelogen hätte.
Sie liebte ihn! Sie liebte ihn tatsächlich!
Gerda weinte jetzt ganz ungehemmt. „O bitte, Ihr müßt ihr folgen und sie und das Kind zurückbringen! Ich sage Euch, Herr, etwas war nicht geheuer. Lady Kathryn sprach vor ihrem Aufbruch kein einziges Wort. Sie war so blaß und sah so . . . so besiegt aus. Und sie hatte ganz gewiß Angst. Dabei hat die Herrin doch nie Angst, Herr!"
Das stimmt, dachte Guy. Und wenn Kathryn Angst hatte, dann zeigte sie das wenigstens nicht. Plötzlich erbleichte er.
Hatte Roderick sie etwa gezwungen, ihm zu folgen? So hitzig und so kampfesmutig sie auch war, so besaß sie doch natürlich nicht die Körperkräfte eines Mannes .. . Die Furcht drohte Guy zu überwältigen.
„Wie lange sind sie schon fort, Gerda?"
„Ungefähr drei Stunden, Herr. Wenn Ihr Euch sehr sputet, holt Ihr sie möglicherweise noch vor Einbruch der Dunkelheit ein." Gerda schluchzte laut auf. „Ach, ich könnte es mir nie verzeihen, falls ihr und dem Kind etwas zustieße! Ich wollte ihnen erst jemanden
Weitere Kostenlose Bücher