Geliebter Freibeuter
Skepsis hin- und hergerissen. Sie hatte nie zuvor einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe gesehen. Sicher, in London und anderen großen englischen Städte gab es immer mehr Farbige, wie sie auch genannt wurden, aber in Cornwall hatte niemand einen dunkelhäutigen Diener.
Ein schmaler, nur mit kundigen Augen erkennbarer Pfad schlängelte sich durch einen dichten Wald. Die Bäume waren Eloise weitgehend unbekannt, aber sie bemerkte sofort den überwältigenden Duft, den zahlreiche bunte Blumen jeglicher Farbe und Größe verströmten. Als dicht über ihrem Kopf ein Vogel einen heiseren Schrei ausstieß, der an den eines Babys erinnerte, zuckte Eloise zusammen und griff unwillkürlich nach Kates Arm. Mahmadou wandte sich nicht zu ihnen um. Er ging wohl davon aus, dass die beiden Frauen ihm folgten. Er lief jedoch so schnell, dass Eloise und Kate Mühe hatten, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sie waren vielleicht eine halbe Stunde gegangen, aber Eloise schien es, als wären sie viel länger unterwegs gewesen. Die Hitze und die ungewohnte Luftfeuchtigkeit machten ihr zu schaffen. Das Kleid klebte an ihrem Körper, und der Schweiß rann ihr in die Augen. Nun verstand sie, warum David Morgan geraten hatte, nicht viel Kleidung aus der Heimat in die Karibik mitzunehmen, sondern ihre Sachen hier schneidern zu lassen. Das Kleid, das sie trug, war zwar ein leichtes Sommerkleid – für eine Gartenparty in Cornwall mehr als angemessen–, aber für das hiesige Klima gänzlich ungeeignet. Glücklicherweise entsprach es der derzeit in Europa herrschenden Mode, dass die Korsetts aus weichem Material waren und nicht mehr so eng geschnürt wurden wie noch vor einigen Jahren. Trotzdem wünschte sich Eloise, alles, was sie unter ihrem Kleid trug, so schnell wie möglich loszuwerden.
Endlich kam ihr Ziel in Sicht, und Eloise stieß vor Überraschung einen Schrei aus, denn das hatte sie nicht erwartet. Auf einer gerodeten Lichtung stand ein zweistöckiges Haus mit einer umlaufenden Veranda. Das Holz war weiß gestrichen, die grünen Fensterläden geschlossen, um die Sonne auszusperren. Das Gebäude wirkte sauber und gepflegt, kein Vergleich zu den armseligen Hütten am Hafen.
Die Tür öffnete sich, und eine der schönsten Frauen, der Eloise je begegnet war, trat heraus. Sie war jung, kaum zwanzig Jahre alt, und ihre Haut schimmerte wie poliertes Ebenholz. Die schwarzen Haare fielen ihr offen bis auf die Hüften und waren im Scheitel mit einer roten Blume geschmückt, die farblich zu dem lockeren Gewand, das die junge Frau trug, passte. Mit einem Lächeln, das zwei Reihen weiße, wie Perlen schimmernde Zähne freigab, kam sie auf die beiden Frauen zu.
»Oh, Besuch! Wie schön, wir hatten schon lange keine Gäste mehr.«
Auch ihr Englisch war nahezu fehlerfrei, mit genau demselben Akzent wie bei Mahmadou. Dieser tippte sich kurz an die Stirn und sagte: »Befehl von Cubert, du sollst dich um die beiden kümmern. Mehr erfährst du, wenn der Captain kommt.«
Beim Wort
Captain
trat ein Leuchten in die samtenen Augen der dunklen Schönheit, und Eloise fühlte einen Stichin der Brust. Sie verbeugte sich vor Eloise und Kate und sagte: »Mein Name ist Betty, ich führe dem Captain den Haushalt. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.«
Von der Veranda aus trat man direkt in einen großen Wohnraum, in dem es angenehm kühl war. Da die Läden geschlossen waren, erkannte Eloise im Dämmerlicht nur schemenhaft die Umrisse der Möbel, aber der Raum schien sehr geschmackvoll eingerichtet zu sein.
Wahrscheinlich alles Beutestücke, dachte sie grimmig, als sie Betty ins obere Stockwerk folgte. Die junge Farbige öffnete eine Tür, und Eloise und Kate betraten ein geräumiges Zimmer, in dem ebenfalls Fensterläden das Sonnenlicht aussperrten, aber Eloise erkannte ein großes Himmelbett mit seidenen Vorhängen, einen Schrank und einen Waschtisch mit allen notwendigen Utensilien. Der Fußboden wurde von einem flauschigen Teppich bedeckt, und in der Luft lag der angenehme Duft einer Eloise unbekannten Blume.
Betty öffnete eine schmale Verbindungstür, die zu einem etwas kleineren, aber ähnlich eingerichteten Raum führte, der vermutlich für Kate bestimmt war.
»Eure Zimmer, Mylady«, bemerkte Betty und verbeugte sich erneut. »Ich hoffe, Ihr werdet Euch hier wohl fühlen.«
An den Fenstern gab es keine Gitterstäbe, auch ließ Betty die Tür unverschlossen, als sie sich entfernte.
»Offenbar hat Flynn keine Angst, wir könnten fliehen«,
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