Geliebter Fremder
Besucher mit einer gelassenen Freude empfangen, die Lara verblüffte. Obgleich Hunter stets ein guter Gastgeber gewesen war, hatte er doch nie so viel Vergnügen dabei empfunden, vor allem wenn es um den niedrigeren Adel und die Bewohner des Ortes gegangen war. ›Dummköpfe‹ hatte er sie verächtlich genannt. Heute jedoch hatte er jeden mit der gleichen Begeisterung willkommen geheißen.
Charmant erzählte er über seine Reisen in Indien, führte zwei oder drei Gespräche gleichzeitig oder schlenderte mit einem oder zwei bevorzugten Freunden durch den Garten oder die Kunstgalerie. Gegen Mittag öffnete er Brandy-Flaschen und bot Zigarren an, während sich alle Herren um ihn scharten. In der Küche wurden unentwegt Erfrischungen für die Menge vorbereitet. Tabletts mit leckeren Sandwiches, Obstteller und Kuchenplatten wurden unermüdlich hereingetragen und sogleich leergegessen.
Auch Lara beteiligte sich an der Unterhaltung, bot Tee an und beantwortete geduldig die Fragen der aufgeregt schnatternden Frauen.
»Was haben Sie gedacht, als Sie ihn gesehen haben?«, fragte eine Frau, während eine andere wissen wollte: »Was hat er als Erstes zu Ihnen gesagt?«
»Nun«, erwiderte Lara verlegen, »natürlich war es eine sehr große Überraschung …«
»Haben Sie geweint?«
»Sind Sie in Ohnmacht gefallen?«
»Hat er Sie in die Arme genommen …?«
Verwirrt von all den Fragen, die auf sie niederprasselten, starrte Lara in ihre Teetasse.
Plötzlich ertönte die amüsierte Stimme ihrer Schwester. »Ich denke, diese Dinge gehen uns nichts an, meine Damen.«
Lara blickte auf und wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, als sie Rachels vertrautes Gesicht sah. Rachel verstand besser als alle anderen, was Hunters Rückkehr wirklich für sie bedeutete. Lara versuchte, ihre Erleichterung zu verbergen, entschuldigte sich bei den Klatschtanten und zog ihre Schwester aus dem Zimmer. In einer Ecke unter der Freitreppe blieben sie stehen und Rachel ergriff tröstend Laras Hände.
»Mir war klar, dass du von Besuchern überschwemmt wirst«, sagte Rachel, »deshalb wollte ich eigentlich mit meinem Kommen noch warten, aber dann konnte ich es nicht länger aushalten.«
»Es kommt mir alles so unwirklich vor«, erwiderte Lara leise. »Die Dinge haben sich so schnell geändert, dass ich noch nicht einen Augenblick lang zum Luftholen gekommen bin. Auf einmal waren Arthur und Janet weg und ich bin wieder hier mit Hunter … und er ist ein Fremder.«
»Meinst du ›Fremder‹ im bildlichen oder wörtlichen Sinn?«, fragte Rachel ernst.
Lara blickte sie verwirrt an. »Du weißt, dass ich ihn nicht anerkennen würde, wenn ich nicht glaubte, dass er mein Ehemann ist.«
»Natürlich, Liebes, aber … er ist nicht mehr derselbe, oder?« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Dann bist du ihm also schon begegnet«, murmelte Lara.
»Ich bin ihm über den Weg gelaufen, als er mit Mr. Cobett und Lord Grimston in den Rauchsalon ging. Er hat mich sofort erkannt und blieb stehen, um mich mit allen Anzeichen brüderlicher Zuneigung zu begrüßen. Er zog mich beiseite und wir redeten kurz miteinander. Er hat seiner Sorge über all das, was du während seiner Abwesenheit erleiden musstest, Ausdruck verliehen. Dann hat er mich nach meinem Mann gefragt und er schien aufrichtig erfreut, als ich ihm sagte, dass Terrell morgen kommen wollte.« Rachel zog eine verwirrte Grimasse. »Er benimmt sich und reagiert so, wie es sich für Lord Hawksworth gehört, aber …«
»Ich weiß«, entgegnete Lara steif. »Er ist nicht mehr derselbe. Es war zu erwarten, dass seine Erfahrungen ihn verändert haben, aber es gibt Züge an ihm, die ich nicht verstehen oder mir erklären kann.«
»Wie hat er dich bisher behandelt?«
Lara zuckte mit den Schultern. »Eigentlich sehr gut. Er versucht, angenehm zu sein, und … er entwickelt einen Charme und eine Aufmerksamkeit, an die ich mich nicht erinnern kann.«
»Wirklich seltsam«, meinte Rachel nachdenklich. »Mir ist das Gleiche aufgefallen – er ist wirklich bezaubernd. Ein Mann, in den die Frauen sich verlieben. Früher war er nicht so.«
»Nein«, stimmte Lara zu. »Er ist nicht mehr der Mann, den ich gekannt habe.«
»Ich bin neugierig, wie Terrell auf ihn reagiert«, sagte Rachel. »Sie waren so enge Freunde. Wenn der Mann ein Betrüger ist…«
»Das kann nicht sein«, erwiderte Lara sofort. Sie weigerte sich, die Angst erregende Möglichkeit, dass sie mit einem Lügner und Betrüger
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