Geliebter Fremder
nicht«, murmelte Smith seufzend. »Ich muss noch einmal einen Blick auf diesen Ballsaal werfen.
Dann können wir das nächste Stockwerk besichtigen.« Kopfschüttelnd ging er davon.
Lara presste sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen. Sie konnte sich nur zu gut seinen Gesichtsausdruck vorstellen, wenn er ihr mit zahlreichen Spiegeln ausgestattetes Schlafzimmer betreten würde. Oh, sie hätte besser die Dienstboten angewiesen, den Spiegel an der Decke über ihrem Bett vorher zu entfernen!
Mr. Young lächelte sie mitfühlend an, als er sah, wie sich ihr Gesicht rötete. »Lord und Lady Arthur haben ihre Spuren hinterlassen, nicht wahr?«
Lara nickte und zwinkerte ihm zu. »Leider können wir es uns nicht leisten, alles verändern zu lassen … aber wie kann man nur in so einer entsetzlichen Umgebimg leben?«
»Über die Kosten würde ich mir weiter keine Gedanken machen«, erwiderte Mr. Young tröstend. »Der Earl hat mit mir über einige seiner Pläne gesprochen und ich war recht beeindruckt. Wenn er seine Ländereien neu bewirtschaftet, einen Kredit aufnimmt und die nötigsten Investitionen tätigt, wird der Besitz bald erheblich mehr abwerfen als zuvor.«
Lara blickte ihn neugierig an. »Kommt Ihnen der Earl eigentlich genauso wie früher vor?«
»Ja … und nein. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach hat er sich zum Besseren verändert. Hawksworth hat jetzt mehr Verantwortungsgefühl und finanzielle Urteilskraft als früher. Er hat sich nie besonders für die Geschäfte interessiert, wie Sie wissen. Zumindest nicht so sehr wie für die Fuchs- und Entenjagd …«
»Ich weiß«, sagte Lara und verdrehte die Augen. »Aber warum hat sich sein Charakter so verändert? Und glauben Sie, dass es anhält?«
»Ich glaube, es ist nur natürlich nach dem, was er durchgemacht hat«, fuhr Mr. Young sachlich fort. »Wenn jemand dem Tod so nahe ist – und wenn jemand sieht, was während seiner Abwesenheit mit seiner Familie und seinem Besitz geschieht –, ist es im Grunde genommen ein großes Geschenk. Ja, ich glaube, die Veränderung wird anhalten. Der Earl merkt nun, wie sehr wir ihn alle brauchen.«
Statt zu erklären, dass sie Hunter ganz bestimmt nicht brauchte, nickte Lara nur. »Mr. Young … stellen Sie sich noch Fragen über seine Identität?«
»Nein, nicht im Mindesten.« Young wirkte ganz verblüfft über diese Vorstellung. »Sie wollen doch damit nicht andeuten, dass Sie sie anzweifeln?«
Bevor sie antworten konnte, gesellte sich Möglichkeiten-Smith wieder zu ihnen. »Nun«, sagte er schwer seufzend, »dann wollen wir uns mal den Rest ansehen.«
»Mr. Smith«, meinte Lara trocken, »Sie wirken regelrecht angeekelt.«
»Vor etwa einer Stunde war ich angeekelt. Jetzt bin ich völlig entsetzt.« Er bot ihr seinen Arm. »Sollen wir weiter machen?«
Den Rest der Woche blieben Mr. Smith und zwei seiner Helfer im Haus, fertigten Zeichnungen an, berieten sich und übersäten die Fußböden mit Büchern und Stoffproben. Inmitten dieses Tumults fand Lara noch die Zeit, ihre Freunde in Market Hill zu besuchen und, was noch wichtiger war, ins Waisenhaus zu gehen.
Alle Probleme und Sorgen verblassten, als sie zusah, wie sechs Kinder im Botanikunterricht unter der Aufsicht der Lehrerin, Mrs. Chapman, Pflanzen im Garten zeichneten. Ein Lächeln breitete sich auf Laras Gesicht aus, als sie auf sie zuging, ohne auf das Gras und den Schmutz zu achten, die am Saum ihres grauen Rocks Spuren hinterließen.
Die Kinder ließen Stifte und Zeichenblöcke liegen, riefen ihren Namen und kamen auf sie zugelaufen. Lachend hockte Lara sich hin und umarmte sie. »Tom, Maggie, Maisie, Paddy, Rob …« Sie schwieg und wuschelte dem letzten durch die Haare. »Und du, Charlie … hast du dich gut benommen?«
»Hab ich«, erwiderte er und sah sie grinsend von unten herauf an.
»Er hat sich sehr bemüht, Lady Hawksworth«, sagte die Lehrerin. »Er war zwar nicht gerade ein Engel, aber nahe daran.«
Lara lächelte und umarmte Charlie, obwohl er sich dagegen wehrte. Nachdem sie die Zeichnungen betrachtet hatte, trat sie mit Mrs. Chapman beiseite, um sich mit ihr zu beraten. Die Lehrerin, eine kleine, blonde Frau ungefähr in Laras Alter, sah sie mit freundlichen blauen Augen an. »Danke für die Malutensilien, Lady Hawksworth. Wie Sie sehen, können wir sie gut gebrauchen.«
»Das freut mich«, erwiderte Lara. »Ich habe sehr mit mir gerungen, ob es so klug ist, Farbe, Papier und Bücher zu kaufen, wo
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