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Geliebter Fremder

Geliebter Fremder

Titel: Geliebter Fremder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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verblüfftes Quietschen bei dem unerwarteten Anblick. »Das ist sehr … interessant. Hast du sie hier gefunden?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. »Sie ist mit mir gekommen.« Sanft streichelte er mit seinem schmutzigen Finger die Maus zwischen den Ohren. »Sie mag es, wenn ich ihr den Kopf so streichle.« Kühner geworden fuhr er fort:
    »Wir machen alles zusammen, Mousie und ich.«
    »Mousie? Heißt sie so?« Also betrachtete der Junge das Tierchen als eine Art Kuscheltier … einen Freund. Laras Kehle wurde eng vor Lachen und Mitgefühl.
    »Willst du sie auch streicheln?«, fragte der Junge und hielt ihr das zappelnde Geschöpf hin.
    Lara konnte sich nicht dazu überwinden, die Maus zu berühren. »Danke, nein.«
    »In Ordnung.« Er stopfte das Tier zurück in seine Tasche und klopfte leicht darauf.
    Laras Brust zog sich zusammen, als sie ihn betrachtete. Das arme Kind hatte nichts – keine Familie, keine Freunde, keine nennenswerte Zukunft – und doch sorgte es sich auf seine eigene Weise um jemanden … um etwas. Auch wenn es nur eine Gefängnismaus war.
    »Du bist hübsch«, bemerkte der Junge großzügig und überraschte sie damit, dass er einfach auf ihren Schoß kletterte. Verblüfft zögerte Lara, bevor sie ihre Arme um ihn legte. Er war nur Haut und Knochen, aber drahtig wie eine Katze. Von seinen Kleidern und seinem Körper stieg ein saurer Geruch auf und ihr kam der entsetzliche Gedanke, dass er wahrscheinlich Ungeziefer hatte. Aber er kuschelte sich in ihren Arm und sah sie von unten her an und Lara strich ihm über die verfilzten schwarzen Haare. Sie fragte sich, wie lange er wohl schon keine mütterliche Umarmung mehr erfahren hatte. Er war so ein kleiner Junge … und so schrecklich allein.
    »Wie heißt du?«, fragte sie. Er antwortete nicht, schloss nur halb die Augen und schien sich zu entspannen, wenn man davon absah, dass er seine schmutzigen Finger in ihren Ärmel krallte. »Meine Güte, du brauchst ein Bad«, sagte sie, wobei sie weiter seine Haare streichelte. »Unter all diesem Schmutz muss doch ein hübscher Junge stecken.«
    Lara hielt ihn fest und murmelte leise vor sich hin, bis sein Kopf gegen ihre Schulter sank. Er war vollkommen erschöpft. Binnen kurzem würde er eingeschlafen sein. Sie löste ihn aus ihren Armen, stand auf und winkte ihm, er solle mit ihr kommen.
    »Ich bringe dich zu Miss Thornton«, sagte sie. »Sie ist eine sehr nette Frau und du musst mir versprechen, artig zu sein. Wir werden ein Zuhause für dich finden, mein Liebling. Ich verspreche es dir.«
    Gehorsam trottete er neben Lara zu Miss Thorntons Büro, seine Faust fest in ihren Rock geklammert. Als sie das kleine Zimmer betraten, saß Miss Thornton an ihrem Schreibtisch.
    Die Schulleiterin lächelte, als sie die beiden sah. »Sie können so gut mit Kindern umgehen, Lady Hawksworth.
    Ich hätte wissen müssen, dass Sie ihn finden.« Sie trat auf den kleinen Jungen zu und ergriff ihn am Handgelenk.
    »Komm mit mir, kleiner Mann. Du hast Ihre Ladyschaft jetzt lange genug belästigt.«
    Der Junge drängte sich dichter an Lara und fletschte die Zähne wie ein wildes Tier. »Nein«, erwiderte er heftig.
    Die Schulleiterin betrachtete ihn überrascht. »Nun. Er kann anscheinend sprechen.« Sie verstärkte ihre Bemühungen, ihn von Lara wegzuziehen. »Du brauchst keine Angst zu haben, Junge. Niemand tut dir hier etwas.«
    »Nein, nein …« Er brach in Tränen aus und klammerte sich an Lara.
    Betrübt strich Lara ihm über den schmalen Rücken. »Mein Lieber, ich komme morgen wieder, aber du musst hier bleiben.«
    Der Junge weinte und klammerte sich weiter an Lara. Die Schulleiterin verließ den Raum und kam mit einer weiteren Lehrerin wieder. »Sie sind bemerkenswert, Lady Hawksworth«, sagte sie und versuchte, gemeinsam mit der anderen Lehrerin das Kind von ihr fortzuzerren. »Nur Sie können ein solches Kind ›mein Lieber‹ nennen und dabei auch noch so klingen, als meinten Sie es aufrichtig.«
    »Er ist kein schlechter Junge«, erwiderte Lara, die vergeblich versuchte, das Kind zu beruhigen.
    Schließlich gelang es den Lehrerinnen, ihn von ihr zu lösen, und er schrie laut auf vor Wut und Jammer. Lara starrte wie gebannt auf den schluchzenden Jungen, der sich gebärdete wie ein Rasender.
    »Machen Sie sich keine Sorgen um ihn«, sagte Miss Thornton. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass er sich seltsam und unnatürlich benimmt. Gott segne Sie, Mylady, Sie haben in der letzten Zeit schon genug mitgemacht,

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