Geliebter Fremder
Gesellschaftslächeln überspielte. »Wenn Sie Lord Hawksworth noch nicht begegnet sind«, sagte sie, »müssen wir das sogleich ändern.« Sie blickte sich im Zimmer um und sah, dass Hunter mit Lord Lonsdale plauderte. Wahrscheinlich redeten die beiden über die Jagd, das Trinken oder andere männliche Vergnügungen.
Hunter merkte, dass sie ihn ansah, und entschuldigte sich bei Lonsdale, um die Neuankömmlinge willkommen zu heißen.
Gekleidet in eine blendend weiße Weste und Krawatte, cremefarbene Breeches und ein schokoladenbraunes Jackett mit Goldknöpfen, wirkte Hunter Zoll für Zoll wie ein Aristokrat mit einem jahrhundertealten Stammbaum. Nur die tiefe Bräune seines Gesichts und seine geschmeidige Art, sich zu bewegen, unterschied ihn von dem Mann, der er früher gewesen war.
Er kam lächelnd auf sie zu, als Gastgeber, der seine Pflicht erfüllt … bis er Captain Tyler sah. Er verlangsamte seinen Schritt und Lara hatte das Gefühl, etwas wie Erkennen in seinen Augen aufblitzen zu sehen, bevor sein Gesicht zu einer undurchdringlichen Maske wurde.
Captain Tylers Miene war genauso unbewegt, aber er war blass geworden und seine Körperhaltung war angespannt.
Sie kannten einander – Lara war sich ganz sicher. Sie hätte ihr Leben darauf verwettet.
Aber sie benahmen sich, als seien sie sich niemals zuvor begegnet. Erstaunt stellte Lara sie einander vor und lauschte den steifen Konversationsversuchen.
Captain Tyler starrte ihren Mann an, als sehe er einen Geist. »Gratulation zu Ihrer wundersamen Rückkehr nach England, Mylord. Das ist der Stoff, aus dem Legenden geschaffen werden.«
Hunter schüttelte den Kopf. »Sie sind die Legende, Captain, nicht ich. Man preist Ihre Großtaten in Indien, vor allem die Niederschlagung des Rebellen-Aufstands.«
Der Captain neigte den Kopf. »Danke.«
Lara blickte zu Mrs. Tyler, die genauso verwirrt zu sein schien wie sie. Warum taten die beiden Männer so, als ob sie sich nicht kennen würden, wenn es doch offensichtlich war, dass sie einander schon begegnet waren? Sie mussten sich in Indien getroffen haben oder vielleicht hatten sie einen gemeinsamen Freund oder es gab ein Ereignis, das sie auf geheimnisvolle Weise miteinander verband.
Obwohl Lara Hunter fragend anblickte, erwiderte er ihren Blick nicht. Er zog sich hinter untadelige Höflichkeit zurück und verriet mit nichts seine wahren Gedanken. Schließlich wurden die Gäste in den Speisesaal geführt, wo sie in Entzückensschreie angesichts des mit Kristall, Silber, Kerzen und Blumen beladenen Tisches ausbrachen.
Lara saß weit weg von ihrem Ehemann und unterhielt ihre Tischnachbarn nur halbherzig. Sie ertrug das Geschwätz der Withers-Schwestern über Frühbeete und Hochbeete und Dr. Slades Berichte über seine jüngsten medizinischen Errungenschaften.
Der erste Gang, ein köstliches Arrangement von Suppe und Fisch, war vorüber. Er wurde gefolgt von Gemüse und Auflauf, danach gab es Ente, Wachteln, Kuchen und Torten, bis schließlich das Dessert, Obst und Kekse serviert wurden. Während des Essens floss reichlich Wein und der Butler öffnete fachmännisch Flaschen mit Sauterne, Bordeaux und Champagner, während Lakaien umhereilten und nachschenkten.
Lara sah mit wachsendem Entsetzen, dass Hunter viel trank. Er war immer schon ein geübter Trinker gewesen, aber dies hier war kein Trinken um des Genusses willen … er trank absichtlich. Als ob er versuchte, einen inneren Schmerz zu betäuben. Wieder und wieder hob er sein Glas, die meiste Zeit schweigend, nur ab und zu gab er einen beißenden Kommentar ab, der seine Gäste zum Lachen brachte. Mit Captain Tyler sprach er nur einmal, als sich das Gespräch Indien zuwandte und Tyler seiner Meinung darüber Ausdruck verlieh, dass die Inder nicht in der Lage seien, ihr Land selbst zu regieren.
»… die Geschichte hat gezeigt, dass die Eingeborenen korrupt sind und man ihnen nicht trauen kann«, sagte Captain Tyler ernst. »Nur durch die britische Intervention kann man die Inder wirklich in das neunzehnte Jahrhundert bringen. Und selbst dann brauchen sie immer noch die Führung und Überwachung durch britische Offiziere.«
Hunter stellte sein Glas ab und blickte kühl in Tylers Richtung. »Ich kannte zahlreiche Inder, welche die Kühnheit besaßen zu glauben, dass sie sich eigentlich selbst regieren können.«
»Ach, tatsächlich?« Es entstand eine lange Pause und Tylers Augen begannen auf einmal boshaft zu funkeln. »Wie interessant. Man hört von
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