Geliebter Fremder
Jeder von den Gästen hätte euch hier erwischen können. Was, wenn es Hammond gewesen wäre? Wie hättest du ihm erklärt, dass du seine Gastfreundschaft missbraucht und sein Vertrauen enttäuscht hast?«
»Verdammt, Bella! Ich weiß es nicht. Was kann ich denn noch sagen? Ich hab mich geirrt.«
»Geirrt?« Isabel atmete geräuschvoll aus. »Bist du deshalb hierhergekommen? Um mit ihr zusammen zu sein?«
»Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung, dass sie hier sein würde. Ich wollte mich ablenken, um nicht mehr an sie denken zu müssen. Weißt du noch, dass ich dich bei unserer Ankunft fragen musste, wie sie überhaupt heißt?«
»Erwartest du, dass die Kleine deine Geliebte wird?«
»Nein! Niemals!«, sagte er heftig. »Sie ist dir sehr ähnlich – voller Träume über Romantik und Liebe in der Ehe. Die möchte ich ihr auf keinen Fall nehmen.«
»Aber du hast ihr die Unschuld genommen, die doch eigentlich der großen Liebe vorbehalten war!« Sie hob die Augenbrauen. »Oder war sie keine Jungfrau mehr?«
»Doch. Natürlich! Ich bin ihr einziger Liebhaber.«
Darauf erwiderte Isabel nichts. Zu offensichtlich für sie beide war der Besitzerstolz in seiner Stimme.
Rhys stöhnte und rieb sich über den Nacken. »Ich reise morgen früh ab. Das Beste, was ich jetzt tun kann, ist, mich von ihr fernzuhalten.«
»Zwar beherzigst du nie meinen Rat, aber ich werde ihn dir trotzdem geben. Denke gründlich über deine Gefühle für Miss Abigail nach. Da ich in meinen beiden Ehen sowohl Glück als auch Verzweiflung erfahren habe, empfehle ich dir dringend, jemanden zu heiraten, mit dem du gern zusammen bist.«
»Du hättest nichts dagegen, dass eine Amerikanerin die Duchess of Sandforth würde?«, fragte er ungläubig.
»Das musst du anders sehen, Rhys. Sie ist die Enkelin eines Earls. Und offen gestanden muss etwas ganz Besonderes an ihr sein, dass du so den Kopf verlierst. Wenn du dich darauf konzentrierst, bin ich sicher, dass du der Welt diese besondere Seite zeigen kannst.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist romantischer Unsinn, Bella.«
»Es ist sicher klug, praktisch an seine Entscheidungen heranzugehen, wenn das Herz nicht betroffen ist. Aber wenn doch, dann solltest du sorgfältig das, was ich dir gesagt habe, mit abwägen.«
Mit gerunzelter Stirn starrte Rhys in die Richtung, die Gray und Abigail eingeschlagen hatten. »Wie aufgebracht war Vater, als du dich für Pelham entschiedst?«
»Lange nicht so zornig wie bei meiner Hochzeit mit Grayson, aber er hat sich daran gewöhnt.« Isabel trat näher zu ihm und legte ihm ihre Hand auf die Schulter. »Ich weiß nicht, ob es dich tröstet oder noch weiter aufbringt, aber es war offensichtlich, dass sie dich anbetet.«
Er zuckte zusammen und bot ihr seinen Arm. »Ich weiß auch nicht, wie ich das finden soll. Komm. Kehren wir ins Haus zurück. Ich will meinem Kammerdiener befehlen zu packen.«
An diesem Abend herrschte gedrückte Stimmung im Salon der Hammonds. Rhys ließ seinen üblichen Witz und Charme vermissen und zog sich früh zurück. Abigail hielt sich tapfer, und ein unbeteiligter Beobachter hätte nichts Ungewöhnliches an ihr gefunden. Doch Isabel bemerkte den angespannten Zug um ihren Mund. Lady Ansell, die neben ihr auf dem Sofa saß, wirkte ebenfalls bedrückt, obwohl sie die Schnitzeljagd gewonnen hatte.
»Ihr Collier ist sehr schön«, murmelte Isabel in der Hoffnung, sie aufzumuntern.
»Danke.«
Sie kannten einander schon jahrelang, wenn auch flüchtig, doch nach ihrer Heirat hatte Lady Ansell mit ihrem Mann viel Zeit im Ausland verbracht. Man konnte sie nicht gerade als hübsch bezeichnen, aber sie war mit ihrer stolzen Haltung eine eindrucksvolle Erscheinung. Es war offensichtlich, dass ihre Heirat eine Liebesheirat gewesen war, und das Strahlen in ihren Augen machte das Fehlen klassischer Schönheit mehr als wett. Heute Abend war von diesem Strahlen allerdings nichts zu sehen.
Als Lady Ansell Isabel ihr Gesicht zuwandte, sah sie eine gerötete Nase und zitternde Lippen. »Verzeihen Sie mir meine Aufdringlichkeit, aber würden Sie mit mir in den Garten gehen? Wenn ich allein gehe, kommt Ansell, und ich könnte es jetzt nicht ertragen, mit ihm allein zu sein.«
Überrascht und besorgt zugleich nickte Isabel und stand auf. Sie warf Gray ein besänftigendes Lächeln zu, bevor sie durch die offenen Flügeltüren auf die Terrasse trat und ihn allein ließ. Als sie dann mit der hochgewachsenen blonden Lady Ansell über die beleuchteten
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