Geliebter Fremder
was er gesagt hatte, und im Blick des Earls lagen Zuneigung und Interesse. Es war ganz offensichtlich, dass sie miteinander vertraut waren.
In seinem Inneren zog sich etwas zusammen und brannte. Er ballte die Fäuste. Schließlich sah sie ihn, entschuldigte sich und kam rasch auf ihn zu.
Der Krampf in seinem Inneren ließ nach, sodass er hörbar ausatmen konnte. Wie gerne wäre er nun mit ihr allein gewesen und hätte mit ihr geplaudert wie am Vorabend, als sie auf ihr Zimmer gegangen waren. Als er mit Pel im Bett lag und ihre Finger verschränkt auf seiner Brust ruhten, hatte er ihr von Emily erzählt. Hatte bekannt, was er über sich selbst herausgefunden hatte, und ihren Beruhigungen und vernünftigen Argumenten gelauscht.
»Du bist kein schlechter Mensch«, hatte sie gesagt. »Du warst nur jung und hungrig nach Anerkennung und Zuwendung. Kein Wunder nach einer Jugend mit einer Mutter, die einen ständig nur rügte.«
»Bei dir klingt das so einfach.«
»Du bist kompliziert, Gerard, aber das heißt noch lange nicht, dass dich etwas Schwieriges quält.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, sich von Emily zu verabschieden.«
Verwirrt fragte er: »Wie soll ich das denn machen?«
Sie beugte sich über ihn, und ihre Augen glühten im Licht vom Kaminfeuer. »In deinem Herzen. Persönlich. In irgendeiner Weise.«
Er schüttelte den Kopf.
»Du solltest es tun. Vielleicht auf einem langen Spaziergang. Oder du könntest ihr einen Brief schreiben.«
»Oder ihr Grab besuchen?«
»Ja.« Bei ihrem Lächeln stockte ihm der Atem. »Was immer du brauchst, um dich zu verabschieden und deine Schuldgefühle loszulassen.«
»Begleitest du mich?«
»Wenn du das willst, selbstverständlich.«
Innerhalb einer Stunde hatte sie seinen Selbsthass in Bewusstsein und Akzeptanz seiner selbst verwandelt. Bei ihr schien alles richtig zu sein, jede Herausforderung zu bewältigen, jede Erfüllung schwieriger Aufgaben möglich. Er sehnte sich danach, ihr dasselbe zu bieten, ihr ein ebenso wertvoller Partner zu sein.
»Und du?«, fragte er. »Darf ich dir dabei helfen, deinen Frieden mit Pelham zu machen?«
Sie legte ihre Wange auf seine Brust, sodass ihre Haare ihm über Schulter und Arm fielen. »Zorn in Gedenken an ihn hat mich lange Zeit stark gemacht«, sagte sie leise.
»Dich, Pel? Oder deinen Schutzpanzer?«
Ihr Seufzer fuhr heiß über seine Haut. »Warum setzt du mir so zu?«
»Du hast gesagt, es wäre genug, aber das stimmt nicht. Ich will alles von dir. Ich bin nicht geneigt, auch nur Bruchstücke von dir mit einem anderen zu teilen – ob er nun lebt oder tot ist.«
Ihr Atem stockte so lange, bis er sie alarmiert schüttelte.
Dann keuchte sie auf und klammerte sich an ihn. Ihre Beine spannten sich um seine, ihre Hände umkrallten seine Schultern. Er umarmte sie ebenso heftig.
»Du kannst mir wehtun«, flüsterte sie. »Ist dir das bewusst?«
»Aber ich werde es nicht tun«, schwor er, den Mund an ihr Haar gedrückt. »Irgendwann wirst du mir das glauben.«
Nach einer Weile schliefen sie ein. So tief hatte Gerard schon seit vielen Jahren nicht mehr geschlafen, weil er nicht mehr einfach durch den Tag trottete und hoffte, er möge zu Ende sein. Jetzt hatte er etwas, worauf er sich beim Aufwachen freuen konnte.
»Isabel«, sagte er nun und führte sie zu einer Stelle abseits der anderen. Möglichkeiten, tiefere Gefühle zu ihm zu wecken, kamen ihm in den Sinn. »Ich würde morgen sehr gerne mit dir zu einem meiner Besitztümer reiten.«
Sie warf ihm einen Seitenblick unter ihrem Hut zu, und wegen des kecken Winkels konnte er nur ihren geschwungenen Mund sehen. »Wohin du willst, Gerard.«
Die Mehrdeutigkeit entging ihm nicht. Es war ein prächtiger Tag, seine Ehe war gekittet, Romantik erfüllte seinen Kopf und sein Herz. Nichts konnte sein Glück trüben. Übermütig wegen Pels Antwort wollte er etwas sagen, da …
»Grayson.«
Nichts hätte weniger willkommen sein können als dieser scharfe Ruf.
Er seufzte enttäuscht und drehte sich widerstrebend zu seiner Mutter um. »Ja?«
»Du kannst dich nicht ständig davonstehlen. Du musst heute Nachmittag bei den anderen Gästen verbringen und dich an der Schnitzeljagd beteiligen.«
»Aber ja doch.«
»Und am Abendessen.«
»Natürlich.«
»Und am morgigen Ausritt.«
»Verzeihen Sie, Madam, aber da kann ich Ihnen nicht zu Willen sein«, antwortete er glatt und bemerkte, dass ihre herrische Art ihn nicht reizte wie sonst. Selbst seine Mutter konnte ihm nicht den
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