Geliebter Fremder
Kiespfade schlenderte, schwieg sie, denn sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es manchmal das Beste war, einfach nur für den anderen da zu sein, ohne etwas zu sagen.
Schließlich begann die Viscountess: »Ich habe ein schrecklich schlechtes Gewissen gegenüber der armen Lady Hammond. Sie ist überzeugt, dass die Gesellschaft trotz ihrer sorgfältigen Planung sterbenslangweilig ist. Ich habe mich wirklich bemüht, mich zu amüsieren, ganz ehrlich, doch ich fürchte, nichts kann mich aufheitern.«
»Ich werde Lady Hammond auch noch mal beruhigen«, murmelte Isabel.
»Dafür wäre sie bestimmt dankbar.« Lady Ansell seufzte und fuhr fort: »Ich vermisse das innere Strahlen, das man bei Ihnen sieht. Ich frage mich, ob ich es je wiedererlangen werde.«
»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Glück zyklisch ist. Irgendwann steigen wir wieder aus der Tiefe empor. Sie auch, das verspreche ich.«
»Können Sie mir denn ein Kind versprechen?«
Isabel blinzelte, denn sie hatte keine Ahnung, was sie darauf sagen sollte.
»Es tut mir leid, Lady Grayson. Verzeihen Sie mir meine Unhöflichkeit. Ich weiß Ihre Bemühungen wirklich zu schätzen.«
»Vielleicht wird es Sie erleichtern, über Ihre Sorgen zu sprechen?«, fragte sie. »Ich bin gerne bereit, Ihnen zuzuhören und über das Ganze zu schweigen.«
»Ich leide unter Bedauern. Ich glaube nicht, dass es dafür Erleichterung gibt.«
Isabel wusste aus eigener Erfahrung, dass das der Wahrheit entsprach.
»Als ich noch jung war«, erklärte die Viscountess, »war ich überzeugt, niemals einen passenden Ehemann zu finden. Ich war zu exzentrisch und wurde schließlich eine alte Jungfer. Dann lernte ich Ansell kennen, der genauso gerne reiste wie meine Eltern. Meine Originalität gefiel ihm. Wir passen ziemlich gut zusammen.«
»Ja, das stimmt.«
Ein schwaches Lächeln erhellte Lady Ansells traurige Miene. »Wenn wir uns nur früher kennengelernt hätten, hätten wir vielleicht ein Kind bekommen können.«
»Das tut mir leid«, sagte Isabel ergriffen. Eine erbärmliche Feststellung, aber mehr brachte sie nicht heraus.
»Der Arzt meint, mit neunundzwanzig sei es wahrscheinlich zu spät.«
»Neunundzwanzig …?«, fragte Isabel und schluckte hart.
Ein unterdrücktes Schluchzen stieg in die stille Nacht. »Sie sind etwa in meinem Alter; vielleicht verstehen Sie mich.«
Nur zu gut, dachte Isabel.
»Ansell versichert mir, er hätte mich auch geheiratet, wenn er gewusst hätte, dass ich keine Kinder bekommen kann. Aber ich habe die Sehnsucht in seinem Blick bemerkt, wenn er kleine Kinder ansieht. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da das Verlangen des Mannes, Nachkommen zu zeugen, so stark wird, dass es auch für andere spürbar ist. Meine einzige Pflicht als seine Frau war, ihm einen Erben zu schenken, und da habe ich versagt.«
»Nein. So dürfen Sie nicht denken.« Isabel schlang ihre Arme um sich, um ein plötzliches Frösteln abzuwehren. Plötzlich verflog alles Glück, das sie den Tag über empfunden hatte. Konnte sie überhaupt glücklich sein, wenn sie längst zu alt war für Neuanfänge?
»Heute Morgen bekam ich meine Blutungen, und Ansell war so enttäuscht, dass er das Zimmer verlassen musste. Er behauptete zwar, er wolle einen Morgenausritt machen, doch in Wahrheit ertrug er meinen Anblick nicht. Ich weiß es.«
»Aber er betet Sie an.«
»Man kann auch von denen enttäuscht sein, die man anbetet«, entgegnete Lady Ansell.
Isabel holte tief Luft und gestand sich ein, dass ihre Zeit, ein Kind zu empfangen, nur noch knapp war. Als sie Pelham aus ihrem Bett verbannte, hatte sie alle Träume von einer eigenen Familie aufgegeben. Viele Monate hatte sie um diesen Verlust getrauert, aber dann hatte sie die Kraft gefunden, diesen Traum hinter sich zu lassen.
Doch nun, da ihre Zukunft neue Möglichkeiten bot, rann ihr die Zeit durch die Finger, und die Umstände zwangen sie, noch länger zu warten. Anstand und Vernunft geboten, so lange nicht schwanger zu werden, bis die Öffentlichkeit keinen Zweifel mehr daran haben konnte, dass das Kind wirklich von Grayson war.
»Lady Grayson.«
Die tiefe, leicht raue Stimme ihres Mannes hätte sie erschrecken sollen, aber sie wurde von einer so starken Sehnsucht nach ihm überwältigt, dass sie weiche Knie bekam.
Als sie beide sich umwandten, sahen sie, dass ihre Ehemänner und der Gastgeber um eine Ecke bogen, die von einer Eibenhecke gesäumt war. Gray hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und bewegte sich
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