Geliebter Fremder
»Das Ganze war allein deine Idee.«
»Ich wollte London verlassen«, erwiderte er trocken und warf ihr einen Seitenblick zu, der verriet, dass er durchaus um seine Wirkung auf sie wusste, »und Zeit mit Spencer und dir verbringen. Ich hatte keine Ahnung, dass dies zu einer Versammlung ausgerechnet all derer werden würde, denen ich am liebsten aus dem Weg ginge.«
»Isabel!«
Rhys’ Ruf lenkte sie ab. Er ging rückwärts auf sie zu und hatte den Blick auf etwas anderes gerichtet, sodass er fast in sie hineingelaufen wäre. Aber Grayson trat vor sie und diente ihr als Puffer.
»Verzeihung«, sagte ihr Bruder rasch, dann sah er sie aufgeregt an, »weißt du, wer die Frau da drüben ist?«
Isabel blickte um seine hochgewachsene Gestalt herum und entdeckte ein Grüppchen Frauen, das sich mit Lady Hammond unterhielt. »Welche denn?«
»Die Brünette rechts von Lady Stanhope.«
»Ach … Ja, ich kenne sie, aber mir fällt gerade ihr Name nicht ein.«
»Abby?«, fragte er. »Abigail?«
»Ah ja! Abigail Stewart, die Nichte von Lord Hammond. Seine Schwester und deren Mann, ein amerikanischer Unternehmer, starben und ließen Miss Stewart als Waise zurück. Allerdings heißt es, sie sei ziemlich vermögend.«
»Eine Erbin«, sagte Rhys leise.
»Das arme Ding«, fuhr Isabel fort und schüttelte mitfühlend den Kopf. »In der letzten Saison wurde sie von einer Heerschar Abenteurer und Mitgiftjäger heimgesucht. Ich habe mich einmal kurz mit ihr unterhalten. Sie ist sehr klug. Ein bisschen ungeschliffen, aber charmant.«
»Sie ist mir nie aufgefallen.«
»Kein Wunder. Sie lebt zurückgezogen und ist überhaupt nicht dein Typ. Zu klug für dich«, zog sie ihn auf.
»Ja … Das ist bestimmt wahr.« Mit gerunzelter Stirn entfernte er sich.
»Ich glaube, du hattest recht«, sagte Gray leise und so dicht an ihrem Ohr, dass plötzlich all ihre Sinne erwachten. »Ich glaube auch, dass er krank ist. Vielleicht können wir uns ein Beispiel an ihm nehmen, vorgeben, es ginge uns nicht gut, und die ganze Woche im Bett verbringen. Zusammen. Nackt.«
»Du bist unverbesserlich«, lachte sie.
Dann wurden ihnen und den anderen Gästen die Zimmer zugewiesen, damit sie sich vor dem Dinner noch frisch machen konnten. Gerard vergewisserte sich, dass Isabel gut untergebracht war und von ihrer Zofe versorgt wurde, bevor er sich entschuldigte, um sich zu den anderen Herren zu gesellen.
Ihm wurde klar, dass die unglückliche Wahl der Gäste auch etwas Gutes hatte. Denn nun konnte er seiner Mutter und Hargreaves alle Illusionen über seine Ehe mit Pel nehmen. Niemand hatte sich in seine Angelegenheiten zu mischen. Im Grunde war es dumm von ihnen zu vergessen, dass er keine Skrupel hatte. Aber es würde ihm nicht schwerfallen, sie daran zu erinnern.
Als er den Salon im Erdgeschoss betrat, fiel ihm die Gestaltung des Raums ins Auge: die großen Fenster mit den dunkelroten, quastenverzierten Vorhängen und die vielen burgunderfarbenen Ledersessel. Dies war das Zimmer eines Mannes. Genau die richtige Umgebung, um das zu sagen, was er zu sagen hatte.
Er nickte kurz zu Spencer hinüber, wies die Zigarre von Lord Hammond zurück und ging mit großen Schritten über den Aubusson-Teppich bis zum Fenster, wo Hargreaves die Aussicht bewunderte. Dabei studierte Gerard die stolze Haltung und das tadellose Benehmen des Earls. Dieser Mann hatte zwei Jahre mit Pel verbracht und kannte sie viel besser als er selbst.
Er wusste noch, wie sie bei Markham gewesen war: strahlend, mit funkelnden Augen und voller Selbstvertrauen. Der Kontrast zu dem rein sexuellen Abkommen, das sie aneinanderband, war verstörend krass. Ihre einstige lose Freundschaft war nun belastet. Er vermisste die Unbefangenheit, die früher zwischen ihnen geherrscht hatte, und sehnte sich danach, sich an der liebevollen Aufmerksamkeit zu wärmen, mit der sie andere bedachte.
»Hargreaves«, murmelte er.
»Lord Grayson.« Der Earl wandte sich zu ihm und sah ihn mit seinen dunklen Augen kühl an. Gerard war nur etwas größer als er und damit leicht im Vorteil. »Bevor Sie versuchen, mich von etwaigen Versuchen abzubringen, Isabel zurückzuerobern, lassen Sie mich versichern, dass ich diesbezüglich keinerlei Absichten habe.«
»Nein?«
»Nein, aber wenn sie von selbst zu mir kommt, werde ich sie nicht wegschicken.«
»Trotz des Risikos, das Sie mit einem solchen Verhalten eingingen?« Gerard war kein Mann leerer Drohungen, sondern ein Mann der Tat. Dass Hargreaves das wusste, sah
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