Geliebter Lord
Dinge sind es wert, dass man um sie kämpft, andere nicht.«
Sie spielte mit einer Elefantenfigur, strich mit den Fingern liebkosend an dem Körper entlang.
Offenbar las sie in seinen Augen, was er dachte, denn ihre Wangen röteten sich. Er streckte die Hand aus und umfasste ihr Handgelenk. Ihr Puls schlug schnell und kräftig.
»Ich habe begriffen, wie kurz das Leben ist, Mary. Warum soll ich die Zeit mit Spielchen vergeuden?«
Wieder überraschte ihn die Direktheit ihres Blicks. »Wir haben doch gar keine Spielchen gespielt. Wir haben beide getan, was wir wollten.«
»Und warst du unzufrieden damit?«
Die Augen auf das Spielbrett geheftet, schüttelte sie den Kopf. »Aber wir waren selbstsüchtig, nicht wahr?«
»Es gibt Schlimmeres, Mary«, sagte er schärfer als beabsichtigt.
»Du benimmst dich, als lebte jeder in seiner eigenen Welt, Hamish. Als hätten die Menschen keinerlei Verbindung zueinander.«
»Wäre das so schlecht?«
»Sie wären einsam. In einer solchen Welt gäbe es kein Verständnis, keine Freundlichkeit, keinen Austausch untereinander. Wir wären alle unabhängig – und allein.«
Unerklärlicherweise ärgerte Hamish sich über ihre Worte. Er stand auf, ging zum Fenster und öffnete die Klappläden, ohne sich darum zu kümmern, dass er damit die Kälte ins Zimmer einlud. Als er sich umdrehte, sah er, wie Mary ihre Arme rieb, um sie zu wärmen.
»Es gibt Schlimmeres, als allein zu sein«, sagte er.
»Das mag sein, aber du scheinst es doch ziemlich schlimm zu finden – sonst wäre ich jetzt nicht hier.«
»Du bist nicht ob meines Seelenheils hier«, erwiderte er brutal.
Mary lächelte nur, stand auf und trat neben ihn.
»Mit anderen Worten hast du das schon einmal gesagt, und ich fange an zu glauben, dass du weniger mich davon überzeugen willst als vielmehr dich selbst.«
»Du siehst jemanden in mir, der ich nicht bin, Mary.«
»Und du möchtest mich glauben machen, jemand zu sein, der du meiner Meinung nach nicht bist.«
»Und wer bin ich deiner Meinung nach?« Wahrscheinlich hätte er das nicht fragen sollen, aber sie hatte seine Neugier geweckt.
»Ein Mann auf der Suche nach seinem Weg.« Das hatte er nicht erwartet. »Ein Mann, der im Grunde anständig ist, jedoch selbst das anzweifelt. Ein Mann, der versucht, eine grauenvolle Zeit in seinem Leben zu verkraften, hinter sich zu lassen und nach vorne zu schauen.«
Er war nicht der edle Ritter mit der gequälten Seele, als den sie ihn geschildert hatte, doch er korrigierte sie nicht, sagte ihr nicht die Wahrheit, obwohl der Augenblick geradezu danach schrie.
Wer war er wirklich? Ein Mann, der sich ständig Fragen stellte, die er nicht beantworten konnte. Hätte er mehr tun können? Hätte er etwas anders machen können?
Seine Einsiedelei hatte etwas ermöglicht, was Gesellschaft nicht gekonnt hätte – ihm gestattet, sich auf das tatsächlich Geschehene zu konzentrieren, und ihm nicht erlaubt, es zu umschiffen oder zu ignorieren. Und irgendwann hatte er akzeptiert, was er getan hatte. Vielleicht war der einzige Mensch, dem er wirklich misstraute, er selbst – eine alarmierende Erkenntnis in diesem Moment.
»Ein Mensch ist nicht unbedingt die Person, für die er sich hält«, sagte Mary sanft. »Es kommt auch darauf an, was andere von ihm halten. Ein Lebensgefährte, Eltern, Geschwister und Freunde. Du magst dich in der Gefangenschaft von allen verlassen gefühlt haben, aber du warst nie wirklich allein. Es gab Menschen, die dich liebten, selbst dann noch, als sie dich für tot hielten.«
»Das erinnert mich an einen Ausspruch meines Vaters.« Hamish wunderte sich, dass gerade diese Erinnerung bis jetzt verschüttet gewesen war. »Er sagte: Wenn du einen Mann wirklich kennenlernen willst, befrage seine Freunde.«
Mary lächelte ihn beifällig an, und es fiel ihm unendlich schwer auszusprechen, was den Mythos zerstören würde, zu dem sie ihn gemacht hatte.
»Meine Familie und meine Freunde kannten den Mann, der ich
war,
Mary – nicht den, der ich jetzt bin.«
»Sind die beiden so unterschiedlich?«
Wie Tag und Nacht. Hamish zog Mary zu sich heran. Um sie zu wärmen, sagte er sich, aber das hätte er schneller erreicht, indem er das Fenster geschlossen hätte. Dann also, um sie zum Schweigen zu bringen. Er wollte Leidenschaft von ihr, keine Erörterung seiner Persönlichkeit. Und auch nicht die listige Hartnäckigkeit, mit der sie ihn auf den Rand des Abgrunds der Ehrlichkeit zudirigierte.
»Wie lange warst du
Weitere Kostenlose Bücher