Geliebter Lord
in Gefangenschaft?«
»Dreizehn Monate.«
Siebzehn Tage, vier Stunden.
Er wusste genau, wie lange.
»Kannst du dir nicht verzeihen, gefangen genommen worden zu sein?«
Er rückte von ihr ab und schaute sie an. In ihren Augen stand so viel Mitgefühl, dass er sie am liebsten mit der Hand bedeckt, sich dagegen abgeschirmt hätte.
Mary ließ nicht locker. »Ich glaube, es war nicht leicht für dich, ein Gefangener zu sein. Du hast bestimmt dagegen rebelliert, bis dein Körper einfach aufgab.«
»Mach keinen Helden aus mir, Mary. Was ich tat, tat ich, um zu überleben.« Noch weiter würde er sich der Wahrheit nicht nähern.
»Du erinnerst mich an den Lehrling meines verstorbenen Ehemanns«, sagte sie zu seiner Überraschung.
Hamish drehte sich weg und schloss das Fenster. »Warum?«, fragte er mit dem Rücken zu ihr.
»Charles bewunderte immer nur Gordons Pokale. Nie sah er seine Kunstfertigkeit, Blumen und Früchte herauszuarbeiten, dass sie wie echt wirkten, sah nur, dass Gordon sich so viel besser auf die Darstellung aufgerichteter Löwen verstand und auf Ornamente. Ein Mann sollte sich nicht an den Stärken anderer messen, ohne seine eigenen zu kennen.«
Unfairerweise amüsiert wandte Hamish sich ihr wieder zu. Er maß sich nicht an anderen, sondern an sich selbst. Was er für richtig hielt, zählte mehr als die Überzeugung einer Fremden. Deshalb bereitete es ihm ja solche Schwierigkeiten zu akzeptieren, was er getan hatte. Er hatte seinen eigenen Ehrenkodex gebrochen.
»Was für Stärken schreibst du mir denn zu, Mary.«
»Durchhaltevermögen«, antwortete sie ohne Zögern. »Die Fähigkeit zu überleben, was einen Schwächeren umgebracht hätte. Die Fähigkeit, geduldig den richtigen Moment für die Flucht abzuwarten. Ich bin sicher, du hattest sie von langer Hand geplant.«
Hamish nickte langsam. Woher wusste sie das? Er ging zum Tisch zurück und berührte einige der Spielfiguren.
»Willst du wirklich spielen?«, entschied er, das Thema zu wechseln, auf der Stelle, bevor er ihr erzählte, was in Indien geschehen war. Er wollte Absolution erlangen. Ob Marys Mitgefühl so weit reichte? Hamish wurde bewusst, dass er sie keiner weiteren Prüfung unterziehen wollte.
Mary kam lächelnd auf ihn zu. »Angesichts des von dir festgelegten Einsatzes wäre es klüger, nein zu sagen – aber ich bin nicht besonders klug, wenn es um dich geht. Also lass uns spielen.«
Sie setzte sich und begann, die Figuren aufzustellen. Ihr Gesicht leuchtete förmlich. Wettstreite wirkten anscheinend belebend auf sie.
»Erzähl mir mehr von diesem Lehrling deines Ehemanns.« Hamish nahm ihr gegenüber Platz. »Was wurde aus ihm?«
»Er ist noch immer da«, antwortete sie, ohne aufzublicken. »Seit Gordons Tod bevormundet er mich zunehmend, schimpft, wenn ich erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause komme, und wird wütend, wenn ich ans Bett eines Kranken gerufen werde. Es ist eine Erholung, hier zu sein und Charles keine Rechenschaft ablegen zu müssen.«
»Wie ist es dir unter diesen Umständen gelungen, Inverness zu verlassen?«
»Du bist der Bruder von Alisdair MacRae.« Sie lächelte ihn an. »Einem so wichtigen Kunden darf man nichts abschlagen.«
»Es klingt, als wäre dieser Charles äußerst besitzergreifend.« Warum ärgerte ihn dieser Gedanke?
»Das ist er«, bestätigte Mary. »Ich will schon seit Monaten mit ihm reden, aber irgendwie hat es sich nie ergeben. Es muss sich etwas ändern. Manchmal benimmt er sich, als hätte er mich zusammen mit Gordons Kunden geerbt. Es ist anstrengend.«
»Hast du ihm Anlass gegeben zu glauben, dass euer Verhältnis über das Geschäftliche hinausgeht?«
Sie schaute hoch. »Natürlich nicht. Für Gordon war er wie ein Sohn, und mit der Zeit begann ich, ihn ebenso zu sehen.«
»Aber er ist doch etwa in deinem Alter. Vielleicht sieht er in dir etwas anderes als eine Mutter.«
Mary schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf das Spielbrett, als gäbe es im Moment nichts Fesselnderes für sie.
Sie war eine Frau mit einem reizenden Gesicht und einer verführerischen Figur. Hamish konnte sich lebhaft vorstellen, welche Träume Charles die Tatsache bescherte, mit ihr unterm selben Dach zu wohnen. Er hatte beinahe Mitleid mit dem jungen Mann, denn schließlich war er selbst Marys Reizen gleich im ersten Moment erlegen.
»Ich nehme an, er wird nicht glücklich über deine Entscheidung sein, bei mir zu bleiben«, sagte er.
»Nein.« Sie hob den Blick. »Aber vielleicht
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