Geliebter Lord
was man mir sagt, Sir. Wenn Mr. Gilly Suppe wollte, habe ich ihm welche gebracht. Und wenn seine Bettwäsche gewechselt werden musste, habe ich auch das getan.« Sie schluckte. »Er war ein liebenswürdiger Mann, Sir, sagte ständig bitte und danke und belohnte selbst die kleinste Freundlichkeit. Oft gab er mir ein paar Münzen für den Markt und sagte, ich sollte dafür ein hübsches Band für mein Haar kaufen oder Süßigkeiten für mich und die Köchin.«
»Habt Ihr jemals gesehen, dass er etwas zu sich genommen hat, was ihm schadete?«
Betty war sichtlich verwirrt. »Ich weiß nicht recht, was Ihr damit meint, Sir. Mrs. Gilly war ausgesprochen vorsichtig, was sein Essen anging. Er hatte Probleme mit den Eingeweiden und konnte am Morgen nur ein paar Löffel Haferbrei essen und nachmittags etwas Toast.«
»Wie lange war er krank?«
»Oh, ich würde nicht sagen, dass er krank war. Er war alt.«
Wieder Gekicher. Diesmal auf der Galerie.
»Er wurde immer dünner«, fuhr sie fort und nickte heftig dazu. »Manchmal nahm er den ganzen Tag nichts zu sich außer Mrs. Gillys Trank.«
»Wisst Ihr, woraus dieser Trank bestand?«
»Nicht genau, Sir. Es waren alle möglichen zermörserten Kräuter darin und ein wenig Ale für den Geschmack. Sie mischte ihn jeden Abend frisch, und Mr. Gilly trank ihn dann.«
Wieder herrschte absolute Stille im Saal.
»Wie lange hat sie ihm diesen Trank verabreicht?«
»Ein paar Monate, Sir. Aber sie gab ihm ständig Stärkungsmittel, zumindest seit ich bei ihnen bin.« Sie warf Mary ein scheues Lächeln zu.
»Und wie lange seid Ihr schon dort?«
Wieder ein Blick zu Mary. »Beinahe fünf Jahre, Sir. Seit ich zwölf war. Mrs. Gilly nahm mich in ihrem Haus auf, als meine Mutter starb. Sie brachte mir Rechnen und Lesen bei – und was man als Dienstmädchen können muss, damit ich immer Arbeit finden würde.«
»Ich hatte Euch lediglich um die Auskunft gebeten, wie lange Ihr schon bei der Angeklagten arbeitet, Miss Carmichael, nicht um eine Beschreibung Eurer Tage im Hause Gilly«, ermahnte Sir John sie, doch Betty ließ sich nicht einschüchtern. Stattdessen hob sie angriffslustig das Kinn und hielt seinem Blick stand. Ein Küken, das einem Habicht trotzte.
»Hat er den Trank bis zum Abend vor seinem Tod zu sich genommen?«
»Nein, Sir. Da konnte er schon nichts mehr zu sich nehmen.«
Mary starrte vor sich hin, als hätte, was um sie herum vorging, gar nichts mit ihr zu tun, und Hamish fragte sich, ob sie Teilnahmslosigkeit übte, um ertragen zu können, was da mit ihr geschah. Genau das hatte er getan, als er gefoltert wurde.
»Habt Ihr jemals miterlebt, dass Mr. Gilly übel wurde, nachdem er den Trank zu sich genommen hatte?«
Das junge Mädchen schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, Sir. Es schien sogar, als ginge es ihm danach ein wenig besser. Aber er hat schon fast eine Woche vor seinem Tod keinen mehr getrunken.«
Wieder schaute sie zu Mary. »Wenn ich abends, bevor ich ins Bett ging, nachschaute, ob Mrs. Gilly noch etwas brauchte, saß sie oft an seinem Bett. Als es mit ihm zu Ende ging, verlor der arme Mann den Verstand. Er tobte, sah alle möglichen Tiere und Dinge, die nicht da waren. Er behauptete, dass Käfer auf ihm herumkrabbelten und an seinen Augen kratzten. Oder er schrie, dass er brennen würde. Die Köchin und ich saßen oft in der Küche und schauten uns an und beteten, dass der arme Mann sterben dürfte.«
»Wie ist er denn genau gestorben?«
»Im Schlaf, Sir. Ich sage, er wurde erlöst. Er schlief ein und wachte nicht mehr auf.«
»Wie hat Mrs. Gilly seinen Tod aufgenommen?«
»Ich fand sie an seinem Bett auf dem Fußboden, Sir, den Kopf neben seiner Hand, das Gesicht tränennass und verquollen, als würde sie seit Stunden weinen.«
Hamish schaute Mary an. Sie hatte zwar über Gordon gesprochen, jedoch nie geschildert, wie er starb oder was sie in seinen letzten Tagen durchgemacht hatte. Mary erscheischte kein Mitleid. Er hatte sie als starke Frau kennengelernt, aber
wie
stark sie war, hatte er nicht gewusst.
»Wie lange wird das denn noch dauern?«, murmelte Hamish ungeduldig, doch weder Brendan noch Marshall konnten ihm das beantworten.
Plötzlich stand der Geistliche auf. »Ich bitte ums Wort.« Sein Gesicht wirkte wie immer freundlich, doch seine dunklen Augen blickten grimmig entschlossen. In der linken Hand die Bibel, die rechte zur Faust geballt in die Seite gestemmt, starrte er Sir John an, und Hamish erkannte, dies war ein
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