Geliebter Lord
Zweikampf von Willenskräften zwischen der weltlichen Gerichtsbarkeit und der Kirche. In diesem Fall siegte die Kirche.
Der Richter nickte, und Matthew Marshall trat vor. Betty verließ den Zeugenstand, der Prediger nahm ihren Platz ein und legte die Bibel auf den Schoß.
»Ich sage nicht als Geistlicher aus, sondern als ein Mann, der an die dreißig Jahre Medizin studiert hat. Meine Erkenntnisse habe ich in mehreren Büchern dargelegt.«
»Eure Ausführungen sind uns willkommen, Mr. Marshall«, sagte Sir John, doch sein Ausdruck strafte seine Worte Lügen.
»Eine Quecksilbervergiftung ist eine schreckliche Art zu sterben, aber meiner Meinung nach hätte der Inhalt dieser Phiole«, er warf einen Blick darauf, »nicht ausgereicht, um Mr. Gillys Tod herbeizuführen.«
»Das mag sein – aber habt Ihr bedacht, dass auch der Arzt Quecksilber verabreichte?«
Erneut herrschte tiefe Stille im Saal, während der Geistliche und der Richter sich ansahen. Schließlich blickte Sir John ins Publikum und pickte den Arzt heraus.
»Wie viel Quecksilber habt Ihr Mr. Gilly verordnet, Dr. Grampian?«
Der Mann stand auf. »Einen knappen Teelöffel in einer Mischung aus anderen Ingredienzien, Sir.«
»Und wie oft einzunehmen?«
Nach kurzem Zögern antwortete der Arzt: »Einmal täglich über mehrere Wochen.«
Der Richter wandte sich wieder Mr. Marshall zu. »Hätte das zusammen mit der von Mrs. Gilly verabreichten Dosis genügt, um jemanden zu töten?«
Sichtlich unglücklich, es eingestehen zu müssen, nickte der Prediger.
Hamishs Sorge um Mary wuchs. War sie vorher blass gewesen, wirkte ihr Gesicht nun aschfahl. Sie starrte den Prediger mit aufgerissenen Augen entsetzt an.
»Mrs. Gilly könnte ihren Ehemann also vergiftet haben, ohne es zu wissen?«
Mr. Marshall nickte wieder.
»Da sie sich als Heilerin bezeichnet, denke ich jedoch, sie hätte anhand der Symptome erkennen müssen, dass die Dosis zu hoch war.« Sir John fixierte Mary.
Der Richter war offensichtlich nicht willens, ihre Unschuld in Betracht zu ziehen – oder den Arzt noch einmal aufzurufen und für seine Handlungen geradestehen zu lassen.
Mary sollte eindeutig allein für Gordons Tod verantwortlich gemacht werden.
Warum werden Frauen eher als Sünderinnen betrachtet denn als Opfer von Sündern?
Diese Frage hatte Mary ihm, Hamish, ein paar Wochen zuvor gestellt.
Nachdem der Geistliche den Zeugenstand verlassen hatte, wurde eine Reihe von Leuten gehört, die darum ersucht hatten, aussagen zu dürfen. Sie berichteten, dass Mary Mitglieder ihrer Familien oder sie selbst gerettet hatte. Auch Mr. Grant sagte aus. Seine Geschichte ging zu Herzen und verriet mehr über Mary als ihre Heilmethoden.
»Jack war damals erst fünf Jahre alt. Wir dachten, er hätte sich eine Erkältung zugezogen, aber sie verlegte sich auf seine Brust. Sein Fieber stieg, und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Wir holten den Arzt, und er verordnete verschiedene Stärkungsmittel, aber keines half. Ich fürchtete schon, mein jüngstes Kind würde die Nacht nicht überleben«, sagte Mr. Grant mit vor Bewegtheit heiserer Stimme. »Meine Frau war außer sich vor Sorge. Der Arzt riet uns, an Jacks Bett auszuharren und uns darauf einzurichten, dass er den Morgen nicht erleben würde.« Sein Blick suchte und fand den Arzt auf der anderen Seite des Saals. Hamish hatte Mr. Grant schon mehrmals erlebt, aber noch nie so zornig wie in diesem Moment.
»Ich bekenne mich dazu, ein starrsinniger Mensch zu sein«, fuhr Mr. Grant fort, während seine Frau sich mit einem angedeuteten Lächeln die Augen betupfte. »Ich war nicht bereit, Jack kampflos aufzugeben, und als Elspeth erzählte, sie hätte von einer Frau gehört, die unentgeltlich die Armen behandelte, stimmte ich zu, sie holen zu lassen.«
»Ich gehe davon aus, dass Euer Sohn überlebt hat«, sagte der Richter.
»Ja, das hat er. Mary kam, setzte sich zu ihm auf die Bettkante, stellte ein Dutzend oder mehr Fragen ob seiner Symptome und der bisherigen Behandlung und tat dann einiges, was mich damals seltsam anmutete – doch je länger ich ihre Methoden kenne, umso größere Achtung habe ich davor.«
»Was tat sie denn, was Euch seltsam anmutete?«
»Dr. Grampian hatte uns angewiesen, in mehreren Töpfen Kampfer zu verbrennen. Sie löschte die Feuer und hieß uns das Fenster ein wenig öffnen. Es war stickig im Zimmer, und ich fürchtete, dass der Temperaturunterschied Jacks Zustand verschlimmern würde, doch im Lauf der
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