Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
fanden eine bezahlbare Dreizimmeraltbauwohnung in Schwabing, sogar mit einem kleinen Westbalkon – damals war die Mietsituation in München noch nicht ganz so angespannt wie heute. Ich weiß ziemlich genau, wie diese Wohnung im zweiten Stock aussieht, ohne sie je betreten zu haben, denn sie gehört zu dem u-förmigen Wohnblock, in dem ich lebe. Mein Apart ment liegt schräg gegenüber, und ich habe vor allem abends freie Sicht in Claus’ und Elkes altes Wohnzimmer und in ihre Küche – Vorhänge sind ja heutzutage völlig aus der Mode gekommen.
Wenn ich darüber nachdenke, empfinde ich auch dieses kleine Detail als absolut unglaublich: Zufälligerweise lebe ich schräg gegenüber der alten Wohnung meines neuen Freundes, der ein verurteilter Mörder ist und mit dem Mordopfer genau diese Räume bewohnte, bis sich die beiden trennten und Elke in die vorübergehend leer stehende Zweizimmerwohnung einer Freundin zog – wo sie dann sterben musste.
Dieser Zufall ereignet sich nicht etwa auf dem Dorf, sondern in einer Millionenstadt, mit Tausenden von Straßen, Abertausenden von Wohnblocks und Wohnungen. Wäre es ein Film, würde man wohl auch an dieser Stelle zu Recht einwenden: »O Gott, was für ein konstruierter, unglaubwürdiger Schwachsinn.« Und wieder muss ich mir sagen: »Das ist kein Film, Kristin. Es passiert wirklich. Und zwar dir selbst.«
Ich weiß nicht, ob ich weiter hier bleiben könnte, wenn der Mord in jener Wohnung schräg gegenüber geschehen wäre – ich bin sehr froh darüber, dass dem nicht so ist. Manchmal stehe ich nachts in meiner dunklen Küche und blicke nach drüben. Die neuen Mieter wissen sicher nicht, dass einmal ein Mörder und sein Opfer in ihrer Wohnung gelebt haben, dafür ist es zu lange her, und der Vermieter wird es ihnen kaum auf die Nase gebunden haben. Sie haben einen für meinen Geschmack deutlich zu großen Flachbildschirm im Wohnzimmer, viele Pflanzen und sehr teures Laminat auf dem Boden. Der Belag sieht ziemlich neu aus und war wahrscheinlich noch nicht in der Wohnung, als Claus und Elke dort lebten. Das Einzige, was vor elf Jahren sicher schon da war, ist der alte Küchenherd aus Gusseisen, den man mit Holz befeuern muss. Meine Uroma hatte so einen ähnlichen in ihrer Bauernhofküche, ich erinnere mich daran, dass dort immer ein Feuer brannte, auch im Sommer, und dass immer irgendetwas vor sich hin köchelte: Apfelkompott, Eintopf, Fleischbrühe und manchmal sogar die Kochwäsche. In den Sechziger- und Siebzigerjahren verschwanden diese alten Herde aus den Küchen und wurden durch Elektro- oder Gasherde ersetzt. Die wenigen, die es heute noch gibt, sind Raritäten, werden aber von den stolzen Besitzern nicht zum Kochen, sondern eher als Abstellfläche genutzt. Ich habe diesen bauchigen weißen Herd jedenfalls von der ersten Minute an bewundert und war immer ein bisschen neidisch, wenn ich abends mit einem Glas Rotwein aus meinem Küchenfenster sah – lange bevor ich wusste, wer früher in dieser Wohnung gelebt, geliebt und irgendwann gemordet hatte.
Jetzt ist dieser Herd wie eine Verbindung zu Elke. Beim abendlichen Blick nach drüben denke ich an sie. Bestimmt war sie auch begeistert, als sie diesen Herd zum ersten Mal sah. Bestimmt hat sie ihn beim Einzug geputzt und poliert, bis er blitzblank war. Es würde zu der kleinen Anekdote passen, die mir Claus über sie erzählt hat – eines der wenigen Puzzleteilchen, aus denen ich mir ein Bild zurechtbastle: »Eines Abends habe ich gesehen, dass Elke allen Ernstes ihre Unterwäsche gebügelt hat. Ich musste sehr lachen und habe sie danach oft damit aufgezogen. Ich bügle ja auch regelmäßig, aber nur meine Hemden. Also, Unterwäsche zu bügeln, das finde ich schon ziemlich verrückt.«
Ich auch. Ich kenne nur einen einzigen Menschen, der Slips und Unterhemden bügelt: die Mutter meines langjährigen Freundes Thomas, lange Jahre meine Beinahe-Schwiegermutter. Eine perfekte und perfektionistische Hausfrau aus Niederbayern, die auch täglich die Blätter der Zimmerpflanzen poliert und Teppichfransen kämmt.
Doch bei allem Spott – ich muss zugeben, dass ein Teil von mir es bewundert, wenn jemand so ordentlich und genau ist. Unterwäsche zu bügeln ist kein Zeichen für Oberflächlichkeit. Niemand – mit Ausnahme des Partners oder des Geliebten – wird später sehen, dass man seine Seiden- oder Baumwollslips hübsch glatt gebügelt und dafür zweieinhalb Minuten pro Stück investiert hat. Man macht das nicht für
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