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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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wie möglich alles wissen, um selbst auch Fotos hochladen, verschicken und bearbeiten zu können. Meine eigene Mutter weiß nicht einmal, wie man einen Computer einschaltet, und ich bezweifle, dass sie das geringste Interesse daran hätte, es zu lernen. Ich lehne mich zurück, nippe an meiner dritten Tasse Kaffee und lasse meine Gedanken schweifen.
    Wenn ich mir das Wenige, das ich über Claus’ Mutter bisher weiß, vor Augen führe, empfinde ich vor allem Respekt und auch Verwunderung. Sich in den Siebzigerjahren scheiden zu lassen, wie sie es getan hat, war ein Skandal, vor allem hier – sexuelle Befreiung und die Emanzipationsbewegung gab es vielleicht in den Großstädten, aber auf dem Land schüttelte man darüber nur den Kopf, im Allgäu ebenso wie in Oberbayern. Sich scheiden zu lassen – so etwas machte man einfach nicht. Man hatte als Frau bei seinem Ehegatten zu bleiben, hatte die Fassade aufrechtzuerhalten, selbst wenn er gewalttätig war oder laufend fremdging. Wenn sich die Frau trennte, war sie Stadt- bzw. Dorfgespräch, wurde verachtet und von vielen geschnitten. Leni hat also einen sehr mutigen Schritt gewagt und sich dann als (fast) alleinerziehende Mutter durchgeschlagen. Das ist heute kein Zuckerschlecken und war es damals bestimmt noch viel weniger.
    »Sie hatte es bestimmt nicht leicht, auch nicht mit mir«, gab Claus zu, als er mir über seine Mutter erzählte. Damals noch viel mehr als heute war Sport für ihn das Wichtigste im Leben. Museumsbesuche, Konzerte, Spaziergänge oder Ausflüge lehnte er schon als kleiner Junge ab, erst recht als Teenager, und wenn sie ihn dazu zwang, strafte er sie mit demonstrativem Desinteresse und schlech ter Laune. Nicht außergewöhnlich, aber so ganz anders als ich: Schon als kleines Mädchen liebte ich es, durch Museen zu streifen, saß still und andächtig bei Mozart-Konzerten, las mich durch die Kinderabteilung der Stadtbücherei und empfand einen Ausflug nach München, zu den Schimpansen im Zoo Hellabrunn, als Höhepunkt der Sommerferien. Sport kam in meinem Leben auch damals nur am Rande vor. Claus dagegen war am glücklichsten, wenn er beim Leichtathletik-Training war, Fußball oder Eishockey spielen konnte. Dort hatte er seine Freunde und seine Erfolgserlebnisse.
    Er und seine Mutter waren und blieben sich in dieser Zeit ziemlich fremd. Ich denke darüber nach, wie ich mich fühlen würde, wenn sich mein Kind ausgerechnet zu einer kleinen Sports kanone entwickeln würde und sich für nichts begeistern könnte, was mir wichtig ist: Kunst, Bücher, Geschichte, Filme, Tiere, fremde Länder. Traurig würde mich das machen, überlege ich. Auch wenn so etwas natürlich häufig vorkommt.
    Wir sprechen bei diesem ersten Besuch über die Vergangenheit, aber nur über lustige und schöne Erinnerungen. Leni erzählt, was Mütter eben so über ihre Söhne berichten, wenn die neue Freundin zu Besuch ist.
    »So hat er ausgesehen«, sagt sie und deutet auf ein Kreideporträt von Claus an der Wand hinter ihr. »Blonde Löckchen hatte er, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wenn man ihn so sieht …«
    »Ist Claus eine Blondine? Färbt er sich etwa die Haare?«, frage ich, und wir beide kichern.
    »Also, Kristin«, sagt Claus und tut empört. »Was denkst du denn von mir? Aber wenn schon: Männer färben nicht, Männer tunen …« Den letzten Satz hat er sich nicht selbst ausgedacht – es ist der alberne Werbespruch einer Haarpflegeserie für Männer.
    Einmal lässt Leni aber doch eine Bemerkung fallen, ganz nebenbei, als sie Claus erzählt, dass sie einen früheren Schulkameraden von ihm in der Stadt getroffen hat, der sie fragte, wie es ihr und ihm gehe. Bei jedem anderen wäre das eine ganz normale Frage, nichts weiter als eine Floskel, eine Art Einleitung zu Small Talk. Wenn man die Mutter eines Mörders so etwas fragt, hat das eine ganz andere Bedeutung. Darum konnte Leni darauf auch nicht mit einem einfachen »Wunderbar. Und Ihnen?« antworten.
    Sie erzählt uns, dass sie gesagt hat: »Nun ja, es geht, es muss ja weitergehen. Aber das, was passiert ist, wird immer da sein, wird immer nachwirken.«
    Claus blickt zur Seite, räuspert sich, knetet seine Hände.
    »Ich meine, so ist es doch. Was hätte ich sagen sollen?«
    Sie sieht mich an.
    Ich nicke, bleibe aber stumm.
    Claus steht auf, um Geschirr in die Küche zu bringen, und Leni wechselt das Thema, spricht wieder über Frauen zeitschriften. Sie wirkt völlig ruhig und gelassen.
    Ich bin mir

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