Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
mit Schlagjeans und hellblonden Locken neben einer fast genauso blonden, hübschen, jungen Frau, viel jünger, als ich es heute bin – sie ist auf diesem Foto fast noch ein Mädchen. Wahnsinn, wie früh unsere Mütter uns damals bekamen, bei meiner Mutter war es nicht anders. Und dann diese blonden Haare – kommt daher seine Vorliebe für Blondinen?, fragte ich mich.
Von Claus weiß ich, dass sich seine Eltern scheiden ließen, als er noch ein Baby war – die beiden haben wohl ziemlich bald gemerkt, dass es nicht passt. Der Vater, damals ein junger Referendar, heute ein graubärtiger Studienrat, der Deutsch und Biologie am Gymnasium lehrt, hat dann relativ schnell wieder geheiratet und eine neue Familie gegründet und sich wenig um Claus gekümmert – zwei- oder dreimal durfte Claus in den Ferien mit in den Familienurlaub nach Rimini, zusammen mit den zwei Halbgeschwistern, das war’s. Nicht mal Geburtstags- und Weihnachtspflichtbesuche scheint es gegeben zu haben. Was damals allerdings keine Seltenheit war. Von Scheidungsvätern, die in Selbsthilfegruppen mit allen Mitteln verzweifelt um Besuchsrecht kämpfen oder einen unterbezahlten Teilzeitjob annehmen, um sich die Kindererziehung mit ihrer geschiedenen Frau gerecht aufzu teilen, wie ich das aus meinem Bekanntenkreis kenne, war man noch meilenweit entfernt. Claus’ Mutter arbeitete Vollzeit als Grundschullehrerin, um sie beide durchzubringen; dabei war sie auf die Hilfe ihrer Mutter angewiesen, Claus’ geliebter Oma Marie, die ihn mit aufzog. Sie war für ihn eine Art Mutterersatz – genau wie meine Oma für mich. Irgendwann kam dann ein Stiefpapa in Claus’ Leben, mit dem er sich sehr gut verstand. Doch auch diese Beziehung scheiterte nach einigen Jahren. Es gab wohl viele Streitereien und Wortgefechte zwischen der Mutter und dem Stiefvater, die Claus ziemlich auf die Nerven gingen – damals war er schon ein Teenager.
In dieser Zeit hatte er ein sehr schlechtes Verhältnis zu seiner Mutter. Er scheint sich völlig vor ihr zurückgezogen zu haben, war nur genervt von ihr und ihren vorsichtigen Annäherungsversuchen.
Nein, es war keine unbeschwerte Kindheit ohne Pro bleme. Aber das war meine auch nicht, ganz im Gegenteil. Dass man sich in der Pubertät von seinen Eltern distanziert und häufig mit ihnen aneinandergerät, halte ich für völlig normal.
In meinem Bekanntenkreis gibt es noch viel schlimmere Beispiele, besser gesagt: wirklich schlimme. Mit alkoholkranken Vätern, Schlägen und sogar sexueller Gewalt. Keiner dieser Bekannten ist dadurch auf die schiefe Bahn geraten, wie es so schön heißt. Einen Mord er klärt diese Kindheit nicht – oder werde ich das anders sehen, sobald ich Claus’ Mutter persönlich kennengelernt habe?
Wie wird sie sein? Eine gebrochene, unglückliche, zu früh gealterte Frau, die mit ihrem Leben hadert? Eine kalte Egoistin, die ihren Sohn vernachlässigt hat? Eine dominante Furie, die ihn unterdrückt hat? Eine Mutter, die keine Liebe zu ihrem Kind empfinden konnte – so wie meine eigene? Wird sie mir gegenüber misstrauisch sein und sich fragen, ob ich es ernst meine mit ihrem Sohn? Oder hat sie Angst, dass wieder etwas passiert, dass Claus noch einmal die Beherrschung verliert? Hat sie die Vergangenheit vielleicht völlig verdrängt und belügt sich selbst? Wird sie über die Tat und die für sie sicher sehr schwere Zeit sprechen oder sie gar nicht erwähnen? Und wie, um alles in der Welt, soll ich mich bloß verhalten gegenüber einer Frau, deren Sohn ein Mörder ist?
Wir sind angekommen, halten in einer gepflegten Wohnstraße mit relativ neuen Ein- und Mehrfamilienhäusern. An einigen Fassaden kleben die in den letzten Jahren so beliebt gewordenen Kletter-Nikolausfiguren, die aussehen, als hätte sich Spiderman im Weihnachtsmannkostüm in die Provinz verirrt. Leuchtende Lichterketten an Balkonen und schneebedeckte Christbäume in den Gärten erinnern daran, dass Weihnachten noch nicht lange zurückliegt. Meine Stiefel knirschen im Schnee, zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mich darüber gefreut – ich liebe knirschenden Schnee unter den Schuhen. Jetzt bin ich zu angespannt, um länger darüber nachzudenken. Claus gibt mir den Blumenstrauß, den er gekauft hat. Auch er wirkt nervös, lächelt mich an, seine Mundwinkel zucken. Ich wickle das hellgrüne Seidenpapier ab, werfe es auf meinen Autositz und schließe die Tür.
»Na, alles klar?«
»Ja, alles wunderbar«, lüge ich und strahle ihn mit einem
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