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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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vernünftige Art und Weise zu klären – was mich manchmal komplett aus der Haut fahren lässt.
    »Ich will jetzt nicht vernünftig sein, verdammt«, habe ich schon mehrmals während einer Auseinandersetzung geschrien. »Lass mich gefälligst rumbrüllen. Was ist so furchtbar daran? Das tut keinem weh.« Doch jetzt, in die sem Moment, wird mir klar, warum es für Claus so schlimm ist und dass es ihm doch wehtut. In jedem unserer ziemlich emotionalen Streitgespräche durchzucken ihn wahr scheinlich Erinnerungen und Ängste. Erinnerungsblitze – genauso, wie ich es auch selbst erlebt habe. Sein Wunsch, jeden Streit wie eine gesittete Fernsehdiskussion zu führen, ist nichts als der verzweifelte Versuch, stets die Kontrolle zu bewahren, sie nie, nie wieder zu verlieren.
    »Und im Streit hast du nach der Kerze gegriffen und …«
    Ich schaffe es nicht, den Satz zu vollenden.
    »Nein. Wir haben irgendwann aufgehört, uns anzu schreien. Wir waren beide völlig fertig, haben uns geeinigt, uns sauber, vernünftig und erwachsen zu trennen. Dann hat keiner mehr was gesagt – es gab auch nichts mehr zu sagen. Ich war völlig außer mir und verzweifelt, habe aber versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Alles war zu Ende – in dem Moment kamen die Suizidgedanken wieder hoch. Ich habe mich angezogen, meine Sachen gepackt, und sie war ins andere Zimmer gegangen. Ich stand auf, um die Wohnung zu verlassen, doch dann … Stattdessen habe ich diese Kerze genommen, bin in das Zimmer, in dem sie stand, und … Ich habe sie damit von hinten niedergeschlagen. Sie hat mich nicht kommen hören.«
    Claus spricht nicht weiter. Ich höre, wie die Mieterin über mir, eine ältere Dame, den Staubsauger anschaltet. In der unteren Wohnung läuft das Radio. Im Hinterhof gurren Tauben. Wieso dringen diese Alltagsgeräusche nur so laut in mein Bewusstsein?
    Ich verstehe jetzt, warum man Claus wegen »Heimtücke« verurteilt hat. Die Tat war nicht mitten im Streit passiert, als die Emotionen hochkochten und sie sich gegenseitig beschimpften. Elke war »arglos«, weil sie den Streit für beendet hielt und davon ausging, dass sie und Claus eine Lösung gefunden hätten und dass er gerade dabei war, die Wohnung zu verlassen. Zudem war sie »wehrlos«, weil sie ihm den Rücken zudrehte, als er zuschlug. »Arglos« und »wehrlos« – beides gehört zur Definition des Mordmerkmals »Heimtücke«. Eine Erklärung, die ich im Netz gefunden habe, lautet: »Heimtücke bedeutet, die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung zur Tötung auszunutzen.«
    Ich habe Angst weiterzufragen. Doch ich habe das Gefühl, dass es nun kein Zurück mehr gibt.
    »Warum? Warum hast du das getan?«
    »Alles, was ich dazu sagen könnte, klingt wie eine Ausrede oder eine Entschuldigung. Aber nichts kann das entschuldigen, was ich getan habe.«
    »Claus, bitte. Warum?«
    »Ich habe selbst keine wirkliche Erklärung dafür, Kristin. Der Richter nannte es im Prozess ›psychischen Aus nahmezustand‹. Diese Kombination aus Depression, Suizidgedanken, Verzweiflung, Alkohol … Darum wurde ich als vermindert schuldfähig eingestuft. Doch all das ist keine Erklärung, keine richtige Antwort auf das Warum. Verstehst du, was ich sagen will?«
    »Aber du hattest es nicht geplant.«
    »Nein, hatte ich nicht, überhaupt nicht. Ich bin zu ihr gegangen in der Hoffnung, dass sie es sich anders überlegt hat und sich alles wieder einrenkt. Ich wertete es als gutes Zeichen, dass sie mich trotz des schönen, warmen Wetters in der Wohnung treffen wollte und nicht im Englischen Garten oder einem Café wie sonst.«
    »Aber als dir dann klar wurde, dass genau das Gegenteil der Fall ist, dass es keine Hoffnung mehr gibt …«
    Anstatt meinen Satz zu vollenden sagt Claus: »Den Gedanken, erst sie und dann mich zu töten, zusammen mit ihr in den Tod zu gehen, hatte ich schon mal gedacht. Und ich hatte ihn auch in meinem Tagebuch niedergeschrieben. Ich hatte das nicht von langer Hand geplant. Ich dachte auch nicht daran, als ich die Wohnung betreten habe. Aber es war auch keine spontane Idee, über die ich vorher noch nie nachgedacht hatte.«
    Der einmal gedachte böse Gedanke bringt einen der Untat näher, lässt etwas völlig Unmögliches plötzlich nicht mehr ganz so weit weg erscheinen. Ich glaube zu wissen, was Claus meint.
    Und endlich traue ich mich, die Frage zu stellen, die mich am meisten umtreibt.
    »Du hast sie nicht nur niedergeschlagen, du hast sie – auch noch

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