Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
sie ihm vertrauen, indem sie ihm das Wertvollste anvertrauen, was sie haben: Jannis und Marie. Claus liebt diese beiden Kinder abgöttisch und fürchtet sich vor dem Tag, an dem er ihnen von seiner Vergangenheit erzählen muss.
»Jannis war damals ja noch so winzig, er hat davon gar nichts mitbekommen«, erzählte er mir vor Kurzem. »Zumindest hoffe ich das. Zu Marie haben sie immer gesagt: ›Komm, wir besuchen jetzt den Onkel Claus in seinem großen Schloss mit den Wachen davor.‹ Das fand sie mit ihren drei, vier, fünf Jahren ganz spannend – so einen Onkel in einem Schloss. Aber irgendwann muss ich ihnen die Wahrheit sagen – ich mag gar nicht daran denken.«
Ich habe oft darüber nachgedacht, wie ich mich selbst verhielte, wenn jemand aus meinem engeren Freundeskreis einen Mord begehen würde. Seinen Partner oder seine Partnerin umbrächte, weil er oder sie die Trennung nicht verkraftet. Würde ich mich distanzieren oder den jenigen trotz allem unterstützen? Einen quasi Aussätzigen, Ausgestoßenen? Und zwar nicht nur ein paar Wochen oder Monate, sondern über Jahre hinweg? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich bin Thorsten, Anna und den wenigen anderen Freunden sehr dankbar dafür, dass sie es getan haben. Ohne ihre Hilfe wäre Claus wahrscheinlich nicht mehr am Leben.
Als mir Thorsten und Anna von jener Nacht erzählten, in der Elke ihr Leben verlor, waren wir alle schon etwas angetrunken. Wir saßen um einen großen Holztisch, hinter uns glühten die letzten Reste der Grillkohle. Ein einsames Würstchen brutzelte auf dem Rost vor sich hin, wurde nach und nach selbst zu einem Stück Kohle, doch keiner schien es zu bemerken. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema gekommen waren, gerade hatten wir uns noch über ihre Reise nach Südafrika unterhalten, die erst ein paar Wochen zurücklag. Es ist ein weiter Weg von den Pinguinen an den paradiesischen Stränden nahe Kapstadt zu jener Nacht im Münchner Spätherbst. Ohne den Wein, der uns allen längst zu Kopf gestiegen war, wäre es wohl nicht zu diesem Themenwechsel gekommen.
Er habe sich nur eine Jacke über den Schlafanzug geworfen, berichtete Thorsten, und sei mit dem Auto zu der Wohnung gerast, in der Elke seit der Trennung wohnte. Ihre neue Adresse habe er Claus irgendwie entlocken kön nen, er hätte sonst keine Ahnung gehabt, wohin. Eigentlich sei er ja eher mit Claus als mit Elke befreundet gewesen, habe sie auch nach der Trennung der beiden aus den Augen verloren.
Gleichzeitig habe er versucht, Claus irgendwie davon abzuhalten, zu springen.
Was sagt man in so einem Moment? Ich kann es mir nur zusammenreimen.
Bitte warte noch, sie ist bestimmt nicht tot, das sah nur so aus wegen des Blutes, bestimmt geht es ihr gut, wahrscheinlich ist sie nur ohnmächtig, ich fahre hin und schaue nach, ich sag dir sofort Bescheid, bleib dran, leg nicht auf, sei vernünftig, denk an deine Mutter, das kannst du ihr nicht antun, mir nicht antun, es gibt eine Lösung, selbst jetzt noch, spring nicht, leg bloß nicht auf, wage es nicht aufzulegen …
Nachdem Thorsten die Adresse von Elkes Wohnung aus Claus herausbekommen hatte, alarmierte Anna den Notarzt und direkt danach Claus’ engste Freunde, Frank und Sebastian. In einer Art Konferenzschaltung haben sie dann alle mit dem lebensmüden Claus gesprochen, auf ihn eingeredet, versucht, ihn zu beruhigen und heraus zubekommen, wo genau er sich befindet.
Thorsten war inzwischen vor dem Mietshaus angekommen, in dem Elke wohnte. »Und da war dann klar, dass alles zu spät war. Dass sie wirklich tot war.« Mehr hat er dazu nicht gesagt, und ich wollte nicht nachbohren. Ich weiß nicht, ob er Elke noch gesehen hat, ob er überhaupt in die Nähe der Wohnung gekommen ist – er hatte ja keinen Schlüssel; wie also hätte er die Türen öffnen sollen? Ich gehe davon aus, dass Polizei und Notarzt schon vor ihm da waren; dass die ganze Straße erhellt war von den Blinklichtern; dass es trotz der späten Stunde gewim melt hat von Menschen – Polizei, Kripo, Spurensicherung, Notarzt, Sanitäter, Nachbarn, Neugierige. Eine Szene, die ihm sofort klargemacht hat, dass das Schlimmste passiert war, dass Claus nicht übertrieben, dass er die schreckliche Wahrheit gesagt hatte. Ich stelle mir vor, dass sich Thorsten sofort ausweisen, seinen Personalausweis vorzeigen, in der Schlafanzughose eine erste Befragung über sich ergehen lassen musste. Dass er sich vorkam wie in einem Fernsehkrimi. So wie ich auch
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