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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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habe keine Ahnung mehr, wie ich in diesen ICE gekommen bin. Dissoziative Amnesie nennen Psychologen und Psychiater dieses Phänomen, das eine Reaktion auf extremen Stress und traumatische Erlebnisse ist. Darum glaube ich Claus’ Beteuerungen, wenn er mir erzählt, er könne sich an vieles nur verschwommen erinnern. Und ich halte es nicht für eine Ausrede oder eine Lüge, wie es so häufig in den Medien passiert, wenn Täter behaupten, sich nicht mehr genau an ihr Verbrechen erinnern zu können. Ich jedoch weiß, dass Claus mich nicht anlügen wird – warum sollte er auch? Ich sitze nicht zu Gericht über ihn.
    »Die auf der Polizeidienststelle wussten gleich, wovon ich spreche, wer ich bin«, erzählt Claus weiter. »Klar, in so einem Fall werden ja alle Dienststellen informiert. Ich wurde sofort festgenommen, bekam Handschellen angelegt. Die Polizisten waren ziemlich unfreundlich und grob.«
    »Hast du dich gewehrt?«
    »Kein bisschen, habe alles über mich ergehen lassen. Ich fand und finde, das hatte ich verdient. Das und noch viel mehr. Außerdem stand ich völlig neben mir.«
    »Was haben sie mit dir gemacht?«
    »Sie haben mich in eine Art Zelle eingesperrt. Dann kamen ziemlich bald Kripo-Beamte, die waren deutlich ruhiger und gelassener. Denen hat man angemerkt, dass so etwas zu ihrem Job gehört, dass sie mit so etwas öfter zu tun haben.«
    »Und dann?«
    »Haben sie mir sofort sämtliche Kleider abgenommen, um Spuren zu sichern. Sie haben mir so einen weißen Overall gegeben.«
    »Overall?«, frage ich, obwohl ich genau weiß, wovon er spricht.
    »Ich glaube, das sind spezielle Schutzanzüge der Kripo oder der Spurensicherung. Ich hatte da anderes im Kopf, als mich genauer mit diesen Anzügen auseinanderzu setzen.«
    Ich denke an das Schwarz-Weiß-Foto in der Zeitung, das Claus in genau diesem weißen Anzug zeigt. Mir wird schlecht, und in meinem Ohr ertönt ein Summen. Ich räuspere mich, das Summen wird leiser.
    »Haben sie dir erzählt, dass Elke tot ist?«
    »Nach einer Weile. Sie haben mir ein paar Fragen gestellt und gemerkt, dass mich meine Freunde angelogen haben, um mich vom Selbstmord abzuhalten, und dann haben sie es mir gesagt. In dem Moment ist etwas in mir endgültig zerbrochen, obwohl ich es ja irgendwie tief in mir drin wusste.«
    »Hast du geweint?«
    »Ich weiß es nicht mehr. Das ist alles im Nebel verschwunden. Und wenn ich kurz klargesehen habe, fühlte es sich an, als wäre ich nicht in meinem Körper, sondern würde neben mir stehen und alles beobachten.«

Mord oder Totschlag?
    Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Jetzt muss ich ihn fragen, was in der Wohnung genau passiert ist. Jetzt.
    Wenn ich es jetzt nicht schaffe, werde ich niemals fragen, werde mich immer weiterquälen, und irgendwann wird unsere Beziehung daran zerbrechen.
    »Claus?«
    »Ja?«
    »Was ist in Elkes Wohnung geschehen?«
    Claus sieht mir in die Augen.
    »Das weißt du doch, das habe ich dir doch schon erzählt.«
    »Ja, hast du. Aber das hat nicht gereicht. Es war zu wenig, um …«
    Um es nachvollziehen zu können, um es irgendwie zu verstehen, wollte ich sagen. Doch sosehr ich mir das auch wünsche, weiß ich, dass mir das nie vollständig gelingen wird, darum spreche ich es nicht aus.
    »Ich muss es einfach wissen. Es ist wichtig für mich. Für uns. Bitte.«
    Claus stützt seinen Kopf in die Hand, blickt auf den Tisch und holt tief Luft.
    »Anfangs lief alles gut, sehr gut sogar, viel besser, als ich erwartet hatte. Wir haben uns gut verstanden, haben geredet, getrunken, gelacht, uns berührt, geküsst und – noch mehr.«
    Er macht eine Pause, räuspert sich, und ich wage kaum zu atmen.
    »Plötzlich hat sie mich zurückgestoßen, für mich kam das aus heiterem Himmel. Sie könne das einfach nicht mehr, hat sie gesagt. Wir fingen an zu streiten. Ein Wort ergab das andere. Sie warf mir Fehler aus der Zeit unserer Beziehung vor, und dass ich betrunken sei. Ich warf ihr vor, dass sie mich betrogen hatte. Wir waren beide sehr aufgeregt, sehr emotional. Irgendwann haben wir uns gegenseitig Beleidigungen an den Kopf geworfen.«
    Eigentlich klingt das nach einem ganz normalen Streit, denke ich und frage:
    »Habt ihr euch angeschrien?«
    »Ja, wir haben uns auch angeschrien.«
    Ich muss daran denken, wie sehr es Claus hasst, wenn ich beim Streiten laut werde und herumbrülle. Wie er immer versucht, mich dazu zu bringen, meine Stimme doch bitte um Himmels willen zu dämpfen, ruhig zu bleiben und die Sache auf

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