Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Trennung, der Liebeskummer, die Einsamkeit während der Doktorarbeit, der Alkohol, die Therapiesitzungen mit der schlechten Therapeutin, Elkes unentschlossenes Verhalten, der Nebenbuhler, die Selbstmordgedanken – das Unheil, das sich zusammenbraut.
Der letzte Streit in Elkes Wohnung, die zerstörte Hoffnung – das auslösende Ereignis .
Eben dachte Claus noch daran, zu gehen, sich »erwach sen« und »vernünftig« zu trennen, doch dann setzen überfallartig Suizid- und Tötungsgedanken ein, als ob ein Schalter umgelegt wurde – der Raptus .
Ist sie das? Die Erklärung, die ich suche?
Ich erzähle Claus von all den Artikeln und dem Buch, lege ihm meine Analyse vor, schildere ihm meinen Erklärungsversuch.
Claus lässt sich Zeit mit seiner Antwort.
»Weißt du, Kristin«, sagt er schließlich, »ich bin immer fest davon ausgegangen, dass mir die vielen Jahre der Therapie im Knast und danach dabei helfen würden, genau diese Fragen zu beantworten: Wie konnte es so weit kommen und warum? Ich meine, darum macht man das doch, um sich und seine Handlungen besser zu verstehen. Und ja, was du da schilderst und herausgefunden hast, klingt alles sehr plausibel. Es ist nicht neu für mich, all das habe ich natürlich auch schon so oder zumindest so ähnlich gehört. Aber ist das wirklich eine Antwort, die dich zufriedenstellt?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich und hebe die Schultern.
»Die Wahrheit ist: Ich werde es nie wirklich erklären und verstehen können, und inzwischen will ich es auch gar nicht mehr. Jeder Erklärungsversuch ist auch immer ein Versuch, ein wenig Schuld und Verantwortung abzuladen – oder zumindest zu relativieren. Das ist verführerisch. Aber das werde ich nicht tun. Es gibt keine wirkliche Erklärung für das, was ich getan habe. Und keine Entschuldigung. Ich bin schuld. Es ist unverzeihlich. Punkt.«
Indem man versucht, sein Verhalten zu begründen und zu erklären, schwächt man Schuld ab, die man auf sich geladen hat – auch in diesem Punkt kann ich nachvollziehen, was Claus sagen will. Aber es geht hier um mich – ich bin es, die sich nach einer Erklärung sehnt, um irgend wie damit umgehen zu können. Die sich an psychologische Fachbegriffe und Phänomene klammert, um irgendwo Halt zu finden. Vielleicht ist das egoistisch, vielleicht muss ich lernen, ohne eine Erklärung damit zu leben. Es muss sich zeigen, ob ich das kann.
Die Gerichtsverhandlung und die Folgen
»Mörder vernichten nicht nur ihre Opfer; sie zerstören immer auch Familien – die des Opfers und die eigene. Ich kenne keinen Mörder, der bedacht hat, dass er auch die Seinen zum Opfer macht.« (Josef Wilfling, Mordermittler).
Menschen begehen ein Kapitalverbrechen, werden verhaftet, vor Gericht gestellt, wandern dann hinter Gitter und bleiben dort jahrzehntelang. Diese Themen werden in unzähligen Büchern, Filmen und Dokumentationen aufgegriffen, mal als fiktiver Krimi, mal als Tatsachenbe richt, und das seit Anbeginn der Menschheit. Verbrechen, insbesondere Kapitalverbrechen, haben Menschen schon immer fasziniert, brutale Gewalt ist – wie große Liebe – allgegenwärtig in den Mythen der Menschheitsgeschichte. Angeblich ist es nicht die Lust am Leid und an der Untat, auch nicht Sensationsgier, was die Faszination daran ausmacht; der Leser oder Zuschauer genießt nicht etwa die schreckliche Tat selbst, sondern vielmehr den Triumph über das Böse und die nach der Sühne des Täters wie derhergestellte Ordnung – behaupten zumindest einige Forscher.
Was in all diesen Geschichten jedoch fast nie erzählt wird, ist, wie es weitergeht, nachdem der Täter gefunden, verhaftet und verhört wurde. In den meisten Fällen endet die Geschichte mit dem Geständnis des Täters, bei dem dann auch alle bisher offenen Fragen geklärt und alle fehlenden Puzzleteilchen zusammengefügt werden. Manchmal spielt der Prozess noch eine Rolle, aber spätestens danach erscheint Ende auf dem Bildschirm – oder man ist im Buch auf der letzten Seite angelangt.
Auch ich hatte mir noch nie allzu viele Gedanken darüber gemacht, was genau eigentlich danach passiert – bis jetzt. Denn draußen ging das Leben natürlich weiter, auch wenn das Elkes Familie ebenso wie Claus’ Angehörige sicher kaum fassen konnten; aus ihrer Sicht hätte sich die Erde wahrscheinlich nicht weiterdrehen dürfen, als sei nichts geschehen.
Und nicht nur die unmittelbaren Angehörigen waren betroffen, sondern auch der gesamte Freundeskreis von Claus und Elke.
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