Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
– gewürgt. Warum?«
Claus senkt den Kopf.
»Ich möchte dir dazu ein Erlebnis erzählen, das ich im Knast hatte und das ich wohl nie mehr vergessen werde. Ich saß in der Gruppentherapie – das war für mich immer eine ziemlich harte Angelegenheit. Man sitzt da und muss sein Verbrechen schildern, vor allen anderen. Nicht nur der Psychologe, sondern jeder aus der Gruppe darf dazu Fragen stellen oder seine Meinung äußern.«
Ich weiß, dass solche Therapien hinter Gittern nicht ganz freiwillig sind. Natürlich kann niemand dazu gezwungen werden, sich in Gruppengesprächen zu entblößen, doch eine Verweigerung kann sich negativ auf Gutachten und Sozialprognosen auswirken. In so einem Fall darf man nicht mit Hafterleichterungen, der Erlaubnis zu studieren, wie Claus es getan hatte, oder gar mit einer früheren Entlassung rechnen.
Ich versuche, mir das vorzustellen.
Ein paar Monate zuvor war Claus noch ein vielversprechender Ph.-D.-Anwärter gewesen, der an seiner beruflichen und sportlichen Karriere gefeilt hatte; der glaubte, alles erreichen zu können, wenn er sich nur genug an strengt; der überzeugt war, alles unter Kontrolle zu haben. Und nun saß er hinter vergitterten Fenstern in einem Stuhlkreis mit Kriminellen und Schwerverbrechern – war selbst einer von ihnen geworden, hatte ein schlimmeres Verbrechen verübt als die Gewohnheitskriminellen und Dauerdealer um ihn herum. Wie mag es sich anfühlen, in so einer Runde über die eigene Tat zu sprechen? Seine Schuld zu bekennen? Sich dazu Fragen von Menschen stellen zu lassen, mit denen er bis vor Kurzem kein Wort gewechselt hätte, die er verachtet hätte, weil sie schwere Straftaten begangen hatten?
»Dieses Sprechen über die Tat dauerte ewig. Du darfst nicht denken, dass so etwas in zwei, drei Stunden abgehandelt wird. Woche für Woche musste ich wieder davon erzählen. Neben mir war so ein Typ, ich glaube, er saß ein wegen mehrerer bewaffneter Raubüberfälle – ein richtig brutaler Kerl mit Narben übers ganze Gesicht, die er von irgendeiner Schlägerei hatte. Er war bekannt für seine Wutanfälle, da brauchte bloß bei einem Fußballspiel die falsche Mannschaft ein Tor zu kassieren, und schon flippte er aus. Der Hellste war er übrigens auch nicht gerade.
Und ausgerechnet dieser Typ stellte mir diese eine Frage, auf die ich einfach keine Antwort habe. Ich hatte gerade genau wie dir erzählt, was passiert war. Der Streit, die Kerze, das Würgen. Und darauf er: ›Ja, aber du hast sie doch schon niedergeschlagen. Warum hast du das denn auch noch gemacht?‹«
»Mit ›auch noch‹ meinte er das Würgen?«, frage ich.
Claus nickt.
»Und was hast du geantwortet?«
»Die Frage stelle ich mir auch immer wieder. Ich weiß es nicht. Alles, was ich sagen kann, ist, dass sie noch nicht tot war. Und ich sie nicht leiden sehen wollte.«
Er schwieg einen Moment.
»Es tut mir leid, Kristin. Eine andere Antwort darauf habe ich nicht.«
Nur wenige Tage vor diesem Gespräch mit Claus war ich über einen Artikel im SPIEGEL gestolpert, in dem von einem verzweifelten Familienvater aus Niedersachsen die Rede war, der seine vier kleinen Kinder tötete, weil er die Trennung von seiner Frau nicht verkraftet hatte. Auch in diesem Fall suchten alle händeringend nach Erklärungen: Wie konnte aus diesem Bilderbuchpapa nur ein Vierfachmörder werden? Wie konnte es zu dieser monströsen Tat kommen? Folgende Antwort fand ich in dem Text:
» Raptus heißt dieses Phänomen in der Sprache der Psychiater: Es ist, erklärt (der Psychiater und Gutachter Johannes) Pallenberg, als würde im Gehirn ein Schalter umgelegt. Eben überlegt er noch, wo er hinziehen könnte. Dann setzen überfallartig Suizidgedanken ein, das Be wusstsein verengt sich wie ein Tunnel, fernab der Realität.« Und durch diesen Tunnel schritt der Vater zur Tat.
Im Buch von Mordermittler Wilfling habe ich natürlich auch gesucht und bin auf diese Erklärung gestoßen:
»Bei allen Beziehungstaten gibt es, ohne Ausnahme, ein auslösendes Ereignis. Meist ist es leicht zu erkennen, weil es sich dabei um rein objektive Geschehnisse handelt, die sich im Leben des Täters oder des Opfers zugetragen haben. (…) Mordgedanken entstehen und entwickeln sich bei geistig gesunden Menschen immer auf realem Nährboden und sind im Grunde genommen nichts anderes als ein Unheil, das sich mehr oder weniger lange zusammenbraut, immer bedrohlicher wird und sich schließlich mit aller Wucht entlädt.«
Die unerwartete
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