Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Claus zum ersten Mal über seine Zeit in der U-Haft gesprochen habe, passierte das, was mir in letzter Zeit immer passiert: Im Fernsehen lief ein Beitrag dazu. Als er angekündigt wurde, hechtete ich von der Couch zum DVD -Rekorder und schaffte es, ihn aufzunehmen – nur die ersten dreißig Sekunden fehlten. Verhaftet – und dann? lautete der Titel des etwa zwan zigminütigen Films; gedreht war er – wie könnte es anders sein – in der Haftanstalt Stadelheim.
Es schien wirklich so, als würde mich diese Thematik immer und überall verfolgen. Es war keine Reportage über einen echten Straftäter, vielmehr durchlief ein Reporter die Aufnahmeprozedur, also alle Stationen, die ein Krimineller auch in Wirklichkeit hinter sich bringen musste, wenn er in U-Haft kam. Alles in diesem Film wirkte ein wenig, als wäre ich in die Sendung mit der Maus geraten, unter anderen Umständen hätte ich über vieles geschmunzelt. Doch nach Schmunzeln war mir nicht zumute, ich sah in dem Reporter Claus bei seiner Einlieferung.
Zuerst brachte man den Pseudostraftäter in die »Klei derkammer«, wo er sämtliche Besitztümer abgeben musste, vom Handy über Bargeld bis hin zum Foto seiner Freundin – »denn auch da könnten Drogen draufgeträufelt sein«, wie der bärtige Vollzugsbeamte uns Zuschauern erklärte. Er hielt jedes einzelne Stück schriftlich fest und benutzte dafür allen Ernstes eine uralte Schreibmaschine. Das Bargeld werde auf ein spezielles Knastkonto überwiesen, auf dem auch der Lohn angespart werden würde, den der Häftling bei seiner Arbeit hinter Gittern verdiene, erklärte man dem Reporter. In U-Haft sei das Arbeiten allerdings noch freiwillig, erst nach einer Verurteilung bestehe Arbeitspflicht. Danach wurde der zukünftige U-Häftling unter die Dusche geschickt – zwangsweise. Man wies ihn darauf hin, dass er in der Untersuchungshaft zwar das Recht habe, täglich zu duschen, nicht aber am Wochenende, das heute, an einem Freitag, kurz bevorstehe. Wahrscheinlich liegt das daran, dass am Wochenende nicht genügend Vollzugsbeamte arbeiten, um alle Häftlinge beim Duschen zu überwachen, dachte ich bei mir. Nach einer für die Zuschauer nicht gezeigten Leibesvisitation, bei der »jede meiner Körperöffnungen genau geprüft wurde«, wie der Reporter betonte, musste sich der Neuzugang die Stadelheimer Knastkleidung anziehen, ein blaues Hemd und eine dunkelblaue Hose ohne Gürtel, die Schuhe ohne Schnürsenkel – um das Selbstmordrisiko zu minimieren. Die typische gestreifte Gefängniskluft, die im Fasching immer noch sehr beliebt sei, gebe es in Deutschland schon seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, erklärte ein unsichtbarer Sprecher, während sich der Reporter ankleidete. Nach dieser Aufnahmeprozedur war der Neuzugang »zellenfertig« und bekam einen »Überlebenskorb« ausgehändigt, also einen Wäschekorb mit Bettwäsche, Handtüchern, Klopapier und den wichtigsten Kosmetika. In der ziemlich großen Zelle mit insgesamt drei Betten angekommen, jammerte der Fernsehreporter über die dünne Matratze aus abwaschbarem Kunststoff und den fehlenden Lattenrost, die Matratze liege einfach auf einer Sperrholzplatte, aus dem Wasserhahn komme nur kaltes Wasser. Ablenkungsmöglichkeiten gab es nicht, der Reporter hätte sich aber einen Fernseher mieten können. Doch er entschied sich fürs Briefeschreiben oder stellte sich ans Gitterfenster, um den anderen Häftlingen zuzuhören, die sich über den Hof Botschaften aus den geöffneten, aber vergitterten Fenstern zubrüllten.
Leibesvisitation, zellenfertig, Überlebenskorb, Arbeitspflicht, Knastkonto – lauter neue, grässliche Wörter.
»War es so?«, frage ich Claus, als ich ihn ein paar Tage später in seinem winzigen Apartment besuche; die DVD habe ich extra mitgebracht, um sie ihm vorzuspielen. Wir sehen uns den Beitrag an, sitzen nebeneinander auf der Couch, berühren uns aber nicht.
»Ja«, sagt er, »ziemlich genau so. Nur dass ich in der Zelle nicht allein war. Und dass mir meine Zelle damals viel zu luxuriös erschien. Ich wünschte mir ein dunkles, feuchtes, schmutziges Kellerverlies, in dem ich verrecken könnte.«
Claus steht mit dieser Einschätzung, die Zellen für Untersuchungshäftlinge seien »zu luxuriös« ziemlich allein da. Die Bedingungen in der Untersuchungshaft gelten deutschlandweit als hart, in Stadelheim ganz besonders. Im Netz habe ich den Blog eines ehemaligen Häftlings gefunden, der sich bitter darüber beklagt hat. Besonders schlimm
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