Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
»normalen« Welt – und trotzdem nur ein weiteres Gefängnis für Claus.
Der Raum ist ihm noch so gegenwärtig, dass er selbst an unserem verlängerten Wochenende in Stockholm daran denken musste, weil ihn die Fliesen im luxuriösen Spa unseres Hotels an diesen Raum erinnerten.
In den wenigen Zeitungsartikeln, die ich im Netz noch über den Prozess gefunden habe, ist davon die Rede, dass Claus einen »schicken schwarzen Designeranzug« trug, ein »typisches Unternehmensberatermodell, das weit über zweitausend Euro gekostet haben dürfte«, wie der Autor vermutet. Mir ist klar, dass der Journalist versuchen muss, den Angeklagten möglichst treffend zu beschreiben, ein Bild seiner Persönlichkeit zu entwerfen, und das in wenigen Zeilen auf einer Zeitungsseite. Am besten noch ein Bild, das die Leser fasziniert und zum Weiterlesen ani miert. Leider ist es jedoch ein völlig verzerrtes, falsches Bild, das da entsteht. Claus besaß nie einen schicken Designeranzug, der weit über zweitausend Euro gekos tet hatte. Niemals würde er so viel Geld für seine Büroklamotten ausgeben, wenn, dann würde er eine solche Summe in ein hypermodernes Zeitfahrrad, ein Surfbrett oder Snowboard stecken. Doch der Reporter will in diesem und weiteren Artikeln partout darauf hinaus, dass da ein sehr reicher, sehr erfolgreicher Gewinnertyp ganz tief gefallen ist – was ja auch zugegebenermaßen eine mitreißende und spannende Geschichte ist, mit der man zudem auch noch ein wenig Sozialneid schüren und Häme erzeugen kann. Also verwandelt sich Claus’ Anzug aus dem Winterschlussverkauf in ein mehrere Tausend Euro teures Designerteil, aus der kleinen Dreizimmerwohnung gleich gegenüber meiner wird eine »schicke Loftwohnung«, aus seinem gebrauchten BMW ein »teures Luxusauto«. Promis sind es gewöhnt, andauernd solche Falschmeldungen über sich zu lesen, doch wie mag es sein, als Normalbürger mit so etwas konfrontiert zu sein? Noch dazu, wenn man wegen Mordes angeklagt ist?
»Es war seltsam, so etwas über mich zu lesen«, sagt Claus dazu. »Man fühlt sich auch so hilflos, denn man kann sich ja gar nicht dagegen wehren. Keiner fragt, ob man damit einverstanden ist.«
Doch das Bild, das der Reporter da mit Buchstaben und Wörtern entwirft, ist immer noch besser als die Zeichnung eines Gerichtszeichners, die ich in einer Lokalzeitung gefunden habe. Da in Deutschland – anders als beispielsweise in den USA – Bild- und Tonaufnahmen während Gerichtsprozessen verboten sind, greifen Zeitungen häufig auf Bilder zurück, die extra bestellte Gerichtszeichner im Verlauf der Verhandlung anfertigen. Es gibt nur wenige, deren Zeichnungen gut sind und auf denen der Angeklagte so aussieht wie in Wirklichkeit. Die meisten wirken eher wie schlechte Phantombilder. Claus ist auf der Zeichnung, die neben den Artikeln über den Prozess zu sehen war, nicht annä hernd zu erkennen. Würde ein Straßenmaler, von dem man sich in einer Urlaubslaune irgendwo an einer Strandpromenade porträtieren lässt, ein solches Bild abliefern, würde ich sofort mein Geld zurückverlangen. Claus ist jedoch begreiflicherweise sehr erleichtert darüber. Er sieht darauf aus wie Mitte fünfzig, sein Kopf ist zu rund, die Nase eher stupsig wie meine. Auch die Furchen, die ich an ihm so liebe, fehlen völlig – aber wer weiß, vielleicht haben sich die auch erst später, während der Zeit im Gefängnis, in sein Gesicht gegraben. Sehr auffällig und sehr schwarz ist dagegen der Anzug gestaltet – der, den der Journalist auf weit über zweitausend Euro geschätzt hat.
Immer wenn ich an den Prozess denke, stelle ich mir vor, wie der Anwalt Claus diesen Anzug im Besucherraum des Gefängnisses übergibt. Wahrscheinlich hat ihn Leni aus dem Schrank in seiner alten Wohnung geholt – vielleicht hat sie ihn zuvor extra noch in die Reinigung gebracht. Ich stelle mir vor, wie der Anwalt Claus gut zu redet, diesen Anzug an den Prozesstagen unbedingt anzuziehen, sich trotz aller Verzweiflung nicht so gehen zu lassen, vor dem Richter einen guten Eindruck zu machen.
Der Prozess also. Claus war voll geständig, mehr als das: Er wollte verurteilt werden, bat geradezu um eine harte Strafe.
»Gleich zu Anfang im Knast haben sie uns dann allerdings gesagt: Vergesst die Strafe. Es geht hier nicht um Strafe, höchstens am Rande. Es geht um Resozialisierung. Wenn ihr hier rauskommt, sollt ihr für euch selbst und für eure Familien sorgen können. Ihr sollt wieder verantwortungsvolle
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