Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
langsam, aber sicher das Verfallsdatum; die Pflanzen in seiner Wohnung welkten vor sich hin; der Vermieter buchte wie jeden Monat die Miete ab, ebenso wie das Fitnessstudio und die Versicherungen die monatlichen Beiträge; Telefon, Handy, Internetanschluss, Strom, Heizung, Zeitungsabos, GEZ -Gebühren – alles lief weiter. In der kleinen Straße direkt vor seiner Wohnung parkte das Auto und wurde von den gerade blühenden Linden mit einer klebrigen Schicht überzogen. Am Kühlschrank hielt ein Magnet in Herzform ein Flugticket fest, denn Claus hatte geplant, zu einem Triathlon-Trainingslager nach Lanzarote zu fliegen, eine weitere Maßnahme, um sich vom Trennungsschmerz abzulenken – und für mich ein Hinweis darauf, dass er den Mord an Elke wirklich nicht geplant hatte. Für Tatorte gibt es Tatortreiniger, die nach einem Tötungsdelikt die Drecksarbeit übernehmen und eine Wohnung, in der ein Mord stattgefunden hat, wieder in einen halbwegs normalen Zustand brin gen. Doch die Abwicklung des Lebens von Täter und Opfer müssen Familie und Freunde übernehmen. Claus selbst konnte sehr wenig dazu beitragen; ihm blieb nur die Organisation mit der Hilfe seines Anwalts vom Gefängnis aus – seine Hauptarbeit bestand darin, To-do-Listen zu schreiben und Vollmachten auszustellen.
Ich hatte mir vorher noch nie Gedanken darüber gemacht, dass ein Mordverdächtiger logischerweise nicht einfach nach Hause spazieren und alles regeln kann, bevor er in den Knast wandert, auch wenn das natürlich auf der Hand liegt. Wenn jemand verhaftet wird und für längere Zeit ins Gefängnis kommt, hat das ähnliche Folgen wie ein Todesfall – irgendjemand muss sich um seine Hinterlassenschaften kümmern. Nur dass der, dessen Leben aufgelöst wird, noch sehr lebendig ist.
Leni und Claus’ verbliebene Freunde mussten das Auto verkaufen, Versicherungen, Mitgliedschaften und schließlich die Wohnung kündigen und leer räumen, Wände streichen oder streichen lassen, Nachmieter finden, alles zusammenpacken und einlagern lassen – so eine Einlagerung kostet zwischen zweihundertfünfzig und dreihundert Euro monatlich, dafür musste Claus natürlich selbst aufkommen, die gesamte Haftzeit hindurch. Die Flugkosten für die geplante Reise nach Lanzarote bekam er übrigens nicht zurückerstattet, trotz einer Reiserücktrittsversicherung – die muss bei Haft nämlich nicht zahlen. Auch etwas, das ich erst durch diesen Fernsehbeitrag erfahren habe.
Manchmal, wenn ich an meinem Küchenfenster stehe, versuche ich mir vorzustellen, wie sie dort drüben die Wohnung auflösten; wie sie alles in Umzugskartons packten und dabei die Kleider und Gegenstände, die Elke zurückgelassen hatte, aussortierten. Hat jemand diese Kartons bei Elkes Eltern vorbeigebracht? Haben sie die Kisten womöglich selbst abgeholt? Oder wollten ihre Eltern, Schwestern und die besten Freundinnen von alldem nichts wissen? Wollten nie wieder jemanden sehen, der auch nur im Entferntesten mit Claus zu tun hatte?
Wie erging es Leni, Thorsten, Anna, Frank und Sebastian in dieser Wohnung? Wie mag es sich anfühlen, in die Wohnung eines Paares einzudringen, sämtliche Schubladen und Schranktüren zu öffnen, persönliche Gegenstände anzufassen und zu verpacken und all das mit dem Wissen, dass die ehemalige Besitzerin tot und der Besitzer ihr Mörder ist? Wie hat Leni das nur durchgestanden?
Dabei stand bald noch viel Schlimmeres bevor: der Prozess.
Der Prozess
Claus hat nur sehr wenig über den Prozess gesagt, auch da sind viele seiner Erinnerungen vernebelt und verschwommen. Auf mich wirkten seine Erzählungen so, als habe er während des Prozesses immer noch unter Schock gestanden, als habe er nicht fassen können, dass ihm das alles gerade wirklich passiert.
Besonders deutlich ist ihm der Warteraum im Gerichtsgebäude in München, in dem Angeklagte mit ihren Anwälten zusammentreffen und dann von einem oder mehreren Polizisten in den Gerichtssaal geführt werden, im Gedächtnis geblieben. Er erwähnt diesen Raum immer mal wieder. Vielleicht hat sich die Erinnerung daran deshalb so unauslöschlich in seinen Kopf eingebrannt, weil das noch etwas relativ Neues für ihn war: Nicht mehr einfach losgehen zu können, wohin man will, nicht einmal in den angrenzenden Raum, sondern immer abwarten zu müssen, bis man die Erlaubnis dazu erhält, bis irgendjemand für einen die Tür aufschließt. Natürlich war das auch in seiner Zelle so, doch dieser Warteraum war draußen, in der
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