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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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Bürger und nützliche Mitglieder der Gesellschaft werden. Wir wollen euch danach nie wieder hier drin sehen. Also, seht das hier nicht vorrangig als Strafe, sondern als zweite Chance.«
    Ich musste mir ein völlig unpassendes Grinsen verkneifen, als er mir das erzählte, in meinen Ohren klangen diese Sätze ähnlich wie das, was man auf einem Manager- Motivationsseminar zu hören bekommt. Für Claus machte diese kleine Rede der Knasttherapeuten alles noch ein wenig schwieriger: Nicht einmal im Gefängnis wollte man ihn hart strafen, ihm die Möglichkeit zu Buße und Reue geben; nicht einmal hier sollte er leiden und auf diese Weise ein wenig seiner Schuld abladen können. Leiden und Buße, um Schuld abzutragen – eine urchristliche Idee, die offenbar so sehr im kollektiven Gedächtnis der westlichen Hemisphäre verankert ist, dass man an sie glaubt, selbst wenn man wie Claus oder ich keiner Kirche angehört.
    Doch Leiden und Buße oder gar Aug’ um Auge, Zahn um Zahn – so funktioniert unser Rechtssystem zum Glück nicht. In Claus’ Fall gab es sogar einige strafmildernde Umstände: Er war nicht nur voll geständig, sondern zeigte auch echte Reue, schon bei seiner allerersten Vernehmung auf der Polizeiwache in Schwabing. Sich aus eigenem Antrieb der Polizei stellen, ein Geständnis ablegen, das von Reue und Einsicht getragen wird – all das kann beim Prozess strafmildernde Wirkung haben, selbst bei Kapitalverbrechen.
    Aus Laiensicht war der Fall glasklar: ein geständiger Täter mit eindeutigem Motiv, eine Beziehungstat mit einer typischen Vorgehensweise des Täters, ein Opfer und ein Tatort, die exakt zum Geständnis passten – das ließ eigent lich keine Fragen offen. Doch aus juristischer Sicht gab es noch einiges zu klären. Beim Prozess ging es vor allem darum herauszufinden, ob es sich um Mord oder Totschlag handelte, ob neben dem Geständnis und echt wirkender Reue weitere Strafmilderungsgründe existierten und welche Strafe dafür angemessen erschien. Der Staatsanwalt bezeichnete die Tat als Mord.
    »Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen heimtückisch oder grausam oder mit ge meingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.« So steht es in § 211 des deutschen Strafgesetzbuches.
    Von Totschlag unterscheidet sich Mord durch eine be sondere Verwerflichkeit von Beweggrund oder Begehungs weise, lese ich in einem Artikel. Und es reicht eines dieser im Strafgesetzbuch genannten »Mordmerkmale«, um als Mörder verurteilt zu werden.
    Weil er die Tat als Mord ansah, forderte der Staats anwalt »lebenslange Haft«, also die im Gesetzbuch vorgesehene Strafe. Lebenslange Haft, umgangssprachlich »lebenslänglich« – das bedeutet in Deutschland Frei heitsentzug auf unbestimmte Zeit, mindestens aber für fünfzehn Jahre, die Zeit in der Untersuchungshaft wird dabei angerechnet. Danach ist eine Freilassung mit fünfjähriger Bewährungsfrist möglich, wenn keine besondere Schwere der Schuld vorliegt, was bei Claus nicht der Fall gewesen wäre. Laut einer Studie des Bundesjustizministeriums beträgt die Haftzeit bei lebenslanger Freiheitsstrafe im Bundesdurchschnitt neunzehn Komma neun Jahre. Claus wäre also über fünfzig gewesen, wenn er aus dem Gefängnis gekommen wäre, eine Wiedereingliede rung ins Leben, ein halbwegs normaler Alltag wären prak tisch unmöglich gewesen.
    Für knapp zwanzig Jahre eingesperrt zu werden, wenn man gerade mal Anfang dreißig ist – wieder einmal etwas, das ich mir nicht vorstellen kann, sosehr ich es auch versuche. Schon beim Gedanken an diese endlos lange Zeitspanne schnürt sich mir der Hals zu. Für fast zwei Jahrzehnte von Familie und Freunden getrennt sein; zwei Jahrzehnte keine Spaziergänge mehr in freier Natur; keine Reisen in ferne Länder; keine Sonne, kein Regen auf der Haut; keine eigene Wohnung, keine Privat-, geschweige denn Intimsphäre; keine Zärtlichkeit, keine Liebe, kein Sex; kein Kino, kein Theater, kein Konzert, kaum Bücher; kein Internet, kein iPhone; stattdessen: Enge, quälende Langeweile, ein stupider Job, der Fernseher als einziges Fenster zur Außenwelt; Briefe, seltene Festnetztelefonate und noch seltenere Besuche als einzige Verbindung nach draußen; Zwangskontakte zu Menschen, von denen man sich unter normalen Umständen fernhalten würde; und wenn man dann nach knapp zwanzig Jahren entlassen wird,

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