Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Widerspruch auf der Zunge. Aber andererseits konnte ich sie natürlich verstehen. Wer würde in so einer Situation ein Loblied auf den Mörder der Schwester beziehungsweise der besten Freundin singen?«
Doch ganz abgesehen davon, ob negativ oder positiv – es würde mir bestimmt sehr schwerfallen zu ertragen, dass sich plötzlich alle Welt öffentlich über mich, meine Persönlichkeit und mein Privatleben auslässt, ohne dass ich darauf den geringsten Einfluss hätte. Zeitungsreporter, die Texte über mich und meine Beziehung schreiben, entfernte Bekannte, die sich in Fernsehinterviews über mich äußern, Freunde, die bei einer öffentlichen Ver handlung meinen Charakter beschreiben und beurteilen – eine grauenvolle Vorstellung. Wieder ein Aspekt, über den ich mir noch nie zuvor Gedanken gemacht hatte, es erschien mir immer selbstverständlich, dass das so abläuft: Aus einem normalen Bürger mit dem Recht auf Privatsphäre wird über Nacht eine »Person des öffentlichen Lebens«, über die in Zeitungen, im Radio und im Fernsehen berichtet wird, weil er oder sie eine schwere Straftat verübt hat; und natürlich werden auch vor Gericht private und sogar intime Details thematisiert, sofern sie in irgendeinem Zusammenhang mit der Tat stehen oder stehen könnten. In der Theorie klar und logisch, dass es so ist, dass es so sein muss. Doch erst seit ich mit Claus zusammen bin, verstehe ich, was das wirklich bedeutet.
Nach sechs Prozesstagen wurde Claus zu einer elfjährigen Haftstrafe wegen Mordes verurteilt – ein für das konservative Bayern extrem mildes Urteil. Strafmildernde Gründe waren in seinem Fall neben dem vollen Geständnis, der Einsicht und glaubwürdig vorgebrachten Reue auch die psychische Ausnahmesituation, in der er sich zum Zeitpunkt der Tat befunden hatte. Ein Gutachter des Gerichts hatte bei Claus eine schwere depressive Verstimmung mit hoher Suizidgefahr festgestellt, Elkes unentschlossenes Verhalten habe diesen Gemütszustand noch verstärkt. Der Richter folgte der Einschätzung des Ge richtspsychologen und berücksichtigte sie bei der Urteils findung. In seiner Urteilsbegründung forderte er Claus dazu auf, sich mit seinen psychischen Problemen im Rahmen von Therapien auseinanderzusetzen und sie in den Griff zu bekommen. Er gestand Claus zu, dass auch er durch Elkes Tod einen schweren Verlust erlitten habe und verkraften müsse, auch wenn er selbst daran schuld sei. Sein Abschlusssatz lautete: »Vergessen Sie nie – Ihr Leben wird irgendwann wieder in halbwegs normalen Bahnen verlaufen. Elke dagegen ist tot.«
Im Knast
Elf Jahre – das heißt, dass ein Täter bei guter Führung und Sozialprognose nach sieben oder acht Jahren wieder drau ßen sein könnte. Natürlich gilt das nicht pauschal, doch bei einem Ersttäter wie Claus, der vorher noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, über eine exzellente Ausbildung verfügt, Freunde und Familie hat, die zu ihm stehen, der seine Tat aus vollem Herzen bereut, im Gefängnis Therapien besucht, arbeitet und friedlich bleibt, stehen die Chancen gut, vorzeitig entlassen zu werden.
Sieben Jahre – im ersten Moment erscheint das lachhaft kurz. Elke hätte, statistisch betrachtet, noch über fünfzig Jahre vor sich gehabt, diese Zeit hat Claus ihr genommen. Dafür muss er nur sieben oder acht Jahre seines Lebens hingeben. Ich weiß, dass man so nicht denken darf. Man muss sich immer wieder klarmachen, dass bei uns eben nicht nach dem alttestamentarischen Aug’-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Prinzip geurteilt und bestraft wird – trotzdem bekomme ich diesen Gedanken nicht aus meinem Kopf. Claus ist mir nicht böse deswegen. Er sagt, er habe damals dasselbe gedacht.
»Erst mal klingt es wie ein Witz – sieben, acht Jahre für einen Mord«, sagt Claus. »Es war in meinen Augen nicht annähernd genug für das, was ich getan hatte.«
Er wurde vom Bereich für Untersuchungshäftlinge in die normale Haftanstalt verlegt; zum ersten Mal seit Monaten hatte er eine Einzelzelle – eine Ausnahme im chronisch überbelegten Stadelheim, und nicht nur hier. Noch ist ein Drittel aller erwachsenen Strafgefangenen in Mehrbettzellen eingesperrt, obwohl das Gesetz schon seit Jahren Einzelzellen fordert. Doch die Umbaumaßnahmen würden in vielen Bundesländern die klammen Kassen sprengen.
»Ich hatte unglaubliches Glück – meine Zelle lag im obersten Stockwerk. Und das heißt: Ich konnte über die Mauer sehen. Wie wichtig das ist, wurde mir erst nach einiger Zeit
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