Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
traurigen, dunklen Gedan ken abzulenken, und blättere meine Unterlagen durch. Ich habe fleißig recherchiert in den letzten Tagen, obwohl ich genau wusste, dass mir die ganze Vorbereitung nichts bringen würde, wenn ich es nicht schaffe, das Vertrauen der gefangenen Frauen zu gewinnen. Doch minutiöse Vorbereitung beruhigt mich in solchen Fällen ungemein. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass sich im Frauengefängnis in Vechta eine der größten Sanddornplantagen Deutschlands befindet – auf zwei Komma vier Hektar wachsen über dreitausend Sträucher, Tendenz steigend, denn Sanddorn liegt gerade im Trend.
Ich habe nachgelesen, dass die Sanddornbeeren nicht im Gefängnis weiterverarbeitet werden, sondern dass die Ernte an einen Betrieb außerhalb geliefert wird, wo man daraus Tee, Brotaufstriche, Bonbons und Likör herstellt – Lebensmittelproduktion ist in deutschen Haftanstalten nämlich nicht erlaubt.
Bei meinen Recherchen habe ich außerdem erfahren, dass Produkte aus deutschen Knästen sehr gefragt sind. Am erfolgreichsten ist angeblich die JVA Fuhlsbüttel in Hamburg. Dort wird nicht nur im Auftrag von Unternehmen produziert, inzwischen existiert ein richtiges Knastlabel. Beworben werden die Produkte mit dem Slogan Heiße Ware hinter Gittern . Im Onlineshop von »Santa-Fu«, so der Spitzname der Haftanstalt, kann man Shirts mit der Aufschrift Lebenslänglich oder Auf Bewährung kaufen; es gibt das Pflegeset Bleib sauber, ein Ausbrecher -Brettspiel oder ein Rezeptbuch mit Gerichten wie Huhn in Handschellen .
Auch Claus hat hinter Gittern gearbeitet – das ist in deutschen Haftanstalten für jeden Inhaftierten vorgeschrieben. Der Strafvollzug ist zwar Sache der Bundesländer, doch die »Arbeitspflicht« fehlt in keinem der entsprechen den Landesgesetze. Die Arbeit solle aber nicht der »Bestrafung« dienen, sie sei vielmehr als Resozialisierungsmaßnahme anzusehen, erklärte ein Verantwortlicher aus Nordrhein-Westfalen in einem Zeitungsinterview, das ich im Netz gefunden habe. Viele Gefangenen, insbesondere ehemalige Drogenkonsumenten, hätten jahrelang ohne jegliche Tagesstruktur gelebt und könnten sich dank der Arbeit langsam wieder auf die Welt draußen vorbereiten. Trotzdem planten zehn Bundesländer vor einem Jahr, die Arbeitspflicht für Strafgefangene abzuschaffen, mit der Begründung, dass im Gefängnis keine freie Berufswahl möglich sei, wie sie das Grundgesetz vorschreibe. Wahrscheinlich hängt die Diskussion um eine Abschaffung auch mit der derzeitigen Wirtschaftskrise zusammen, die die Haftanstalten ebenso zu spüren bekommen wie normale Firmen. Bei vielen JVA s sind die Aufträge von Unternehmen draußen stark zurückgegangen, und es wird immer schwieriger, die Gefangenen angemessen zu beschäftigen.
Schon als Claus einsaß, arbeitete keineswegs jeder seiner Mitgefangenen.
»Diejenigen, die partout nicht wollten, wurden nicht gezwungen. Aber die saßen dann halt auch dreiundzwanzig Stunden in der Zelle, kamen pro Tag nur für die eine Stunde Hofgang raus. Stell dir das bitte mal vor: dreiundzwanzig Stunden in einem kleinen Raum eingesperrt. Das hätte ich niemals ausgehalten.«
Besonders beliebt sei bei Strafgefangenen die Arbeit in der »Hofkolonne«, »auch wenn man da bei jedem Wetter raus und manchmal echt unangenehme Jobs verrichten muss, wie etwa nach Silvester all das Klopapier wegräumen, das die Häftlinge anzünden und aus dem Fenster werfen«, wie Claus berichtete. »Aber man kommt wenigstens an die frische Luft.« Darum seien auch Jobs als Gärtner oder Erntehelfer wie auf der Sanddornplantage in Vechta gefragt. »Oder Essenverteilung – da klappert man mit einem Rollwagen alle Zellen ab und kommt richtig rum.«
Claus war nach einer kurzen Karriere als Servicekraft in der Kantine für Knastmitarbeiter der Leiter der Knastbibliothek, wahrscheinlich hielt man ihn wegen seines Studiums und der abgebrochenen Promotion für besonders geeignet – dabei liest er weder besonders viel noch besonders gern. Doch wie viele Gefangene änderte er seine Einstellung vorübergehend während seiner Inhaftierung und begann sich durch die gesamte Bibliothek zu schmökern, am liebsten waren ihm Thriller wie Der Schwarm oder die Trilogie von Stieg Larsson, also richtig fette Schinken. »Man kann nicht immer nur fernsehen oder Radio hören.«
Claus war als »Bibliotheksleiter« für Neuanschaffungen und Archivierung zuständig, fürs Verleihen, und er musste die Bibliothek insgesamt in Schuss
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