Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
eine viel schlimmere Tat verübt hat als all die Drogendealer, Autoschieber, Zuhälter, Diebe, Betrüger und Einbrecher um einen herum?
Ich weiß von Claus, dass er viele seiner Ansichten in der Zeit im Gefängnis überdacht und geändert hat, nicht nur die Sache mit der Todesstrafe. Ab und zu erklärt er mir die schwierige, ja manchmal hoffnungslose Situation vieler ausländischer Strafgefangener, die er kennengelernt hat – Häftlinge mit Migrationshintergrund, wie es ja heutzutage heißt. Er erzählt mir davon, wie sie in einem Umfeld aufwachsen, das ihnen oft keine andere Chance lässt, als kriminell zu werden. Claus war nie ausländerfeindlich, aber ich weiß, dass ihn solche Themen in seinem früheren Leben, also vor dem Mord und der Haftzeit, nicht besonders interessiert haben. Das war eine andere Welt, mit der er nichts zu tun hatte, die er höchstens vom Hörensagen kannte. Erst im Gefängnis, mit vielen solcher Schicksale vor Augen, fing er an, darüber nachzudenken und Vorurteile über Bord zu werfen.
Der Zug hält an – wir sind in Kassel-Wilhelmshöhe, hier wollte Olaf zusteigen. Ich versuche, ihn auf dem Bahnsteig zwischen all den Reisenden zu entdecken, und bin so konzentriert, dass ich gar nicht merke, wie er sich neben mich setzt.
»Hallo schöne Frau, ist der Platz neben Ihnen noch frei?«
Ich schrecke zusammen und fege meine Rechercheunterlagen vom Tischchen vor mir.
»Sehe ich etwa so grässlich aus? Ich habe die letzten Tage zwar zu wenig geschlafen und zu viel gesoffen, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht.«
Ich drehe mich zu ihm um, lächle und umarme ihn.
»Hey, nicht so stürmisch!«, ruft er.
»Kein Wunder, dass ich einen Herzinfarkt bekomme, wenn du dich so anschleichst.«
Olaf steht noch einmal auf, verstaut seine Fotoausrüstung und den Rucksack im Gepäckfach und lässt sich ein zweites Mal auf den Sitz fallen.
»Na, das wird ein Kontrastprogramm. Eine Woche lang Sternerestaurants quer durch Deutschland fotografieren und jetzt in den Frauenknast. Da bin ich ja mal gespannt.«
»Und ich erst.«
»Wie geht es dir damit?«
»Dass wir in den Knast gehen?«
»Ja, was sonst?«
»Komisches Gefühl. Ich habe zu Claus gesagt, es sei für mich wie eine Reise in seine Vergangenheit.«
»Ach, er war im Frauengefängnis? Das wusste ich ja noch gar nicht. Dann hat er die Zeit ja bestimmt genossen.«
Ich muss lachen.
»Olaf, du bist unmöglich.«
»Ja, das höre ich öfter.«
Er wird wieder ernst.
»Nee, jetzt mal ohne Spaß. Bist du halbwegs okay?«
»Geht so. Ich drehe natürlich wieder verstärkt Runden im Gedankenkarussell, seit sie mir die Geschichte aufs Auge gedrückt haben …«
»Ist ja auch verrückt, dass sie dir ausgerechnet jetzt eine Knaststory geben.«
»Ja, nicht wahr?«
»Andererseits ist es wirklich ein cooles Thema. Mit Tiefgang, Relevanz, Schicksalen und so.«
»Genau, vor allem mit und so . Früher wäre ich verrückt vor Freude gewesen bei so einem Auftrag.«
»Und jetzt?«
»Freue ich mich auch, nur etwas verhaltener. Nein, natürlich ist es ein interessantes Thema. Ich habe nur Angst, vor Ort in Tränen auszubrechen, und dann denken alle, ich hätte nicht mehr alle Rosinen im Kuchen.«
»Ach was, du bist doch Profi. Abends im Hotel kannste mir dann ja die Hucke vollheulen.«
»Deswegen bin ich ja auch so froh, dass du mitkommst. Vor dir muss ich mich wenigstens nicht verstellen.«
»Was sagt Claus eigentlich zu deinem Knasttrip?«
»Hm.«
»Was?«
»Er sagt sehr oft Hm. Und meint, es sei vielleicht alles zu viel, was ich so mache, um seine Vergangenheit zu verarbeiten.«
»Kann ich verstehen.«
»Was?! Fällst du mir jetzt auch noch in den Rücken?«
»Würde ich nie. Aber manchmal habe ich auch schon gedacht, dass diese Konfrontationstherapie, die du da durchziehst, too much ist. Für dich, dein Seelchen, für euch beide als Paar …«
» Too much, wieso too much? «
»Na ja, als du auf dieses Hochhaus geklettert bist …«
»Geklettert? Ich bin nicht geklettert, sondern mit dem Lift gefahren.«
»… und dich auf das Fensterbrett im dreizehnten Stock gesetzt hast, bei geöffnetem Fenster – also das ist doch Wahnsinn.«
»Das sagst du nur, weil du Höhenangst hast.«
»Nein, das sage ich, weil ich mir um dich Sorgen mache. Ich kann ja verstehen, dass dich die Sache beschäftigt, aber findest du nicht, du übertreibst?«
Ich verberge mein Gesicht in den Händen, weil mir schon wieder Tränen aus den Augen
Weitere Kostenlose Bücher