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Geliebter Normanne

Geliebter Normanne

Titel: Geliebter Normanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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aber nach und nach lichtete sich der Nebel um ihn herum, und Angst ergriff ihn. Er holte eine Axt, und mit zwei Männern stieg er zu Bosgards Gemach hinauf. Als sich auf ein erneutes Klopfen und Rufen hin immer noch nichts regte, hieb Henri wie von Sinnen auf die Tür ein. Bald barst das Schloss, und die Männer stolperten in den Raum, der in helles Sonnenlicht getaucht war. Bosgard lag bewegungslos im Bett, von Hayla war weit und breit nichts zu sehen. Henri eilte zu Bosgard und schüttelte ihn kräftig an den Schultern.
    »Er lebt, aber er scheint bewusstlos zu sein«, rief er. »Holt sofort jemanden, der sich mit Krankheiten auskennt. Da gibt es doch diese alte Magd …«
    Waline, durch eine zweite Mahlzeit am Morgen noch mehr zu Kräften gekommen, untersuchte Bosgard mit kundigen Handgriffen, dann wandte sie sich an Henri. »Sir, der Herr wird noch einige Zeit schlafen, aber er ist gesund.«
    »Wie kann das sein?« Henri schüttelte fassungslos den Kopf. »Und wo ist Lady Hayla?«
    Waline sah dem Ritter fest in die Augen. Sie würde Haylas Entscheidung respektieren, aber es hatte keinen Sinn mehr, länger zu schweigen.
    »Sir, ich glaube, Hayla hat sich in die Hände der Feinde begeben, um unser aller Leben zu retten. Das erklärt den hastigen Aufbruch der Belagerer. Bevor sie die Burg verließ, hat sie Sir Bosgard einen Schlaftrunk verabreicht, denn sie wusste, er hätte sie sonst niemals gehen lassen.«
    Inzwischen war auch die aufgebrochene Pforte in der Westmauer entdeckt worden. Wenn Henri eins und eins zusammenzählte, dann kam er nur zu einem möglichen Ergebnis: Hayla befand sich in den Händen der Feinde auf dem Weg nach London und damit auf dem Weg in ihren sicheren Tod.
    »Wir müssen sofort die Verfolgung aufnehmen«, brüllte er. »Na, los, worauf wartet ihr noch?«
    Ein Ritter trat vor und blickte Henri bedauernd an. »Wie sollen wir ohne Pferde die Männer verfolgen? Sie sind um Mitternacht herum aufgebrochen, jetzt steht die Mittagssonne am Himmel. Zu Fuß werden wir sie niemals einholen.«
    »Dann besorgt neue Pferde! Sofort! Kämmt alle Höfe und Dörfer durch. In der Umgebung wird es doch Pferde geben.«
    Ein anderer Mann schüttelte bedauernd den Kopf. »Sir Henri, die Menschen hier pflügen ihre Felder mit Ochsengespannen, allenfalls hat der eine oder andere einen Esel im Stall stehen. Der nächste Besitz, auf dem wir Pferde finden können, ist der von Sir Geoffrey Rampard. Seine Burg ist einen halben Tagesritt entfernt … zu Pferd …«
    Er brauchte nicht weiterzusprechen. Henri ballte die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen. Sie saßen hier fest und konnten nichts tun.
    »Wir warten, bis Sir Bosgard aufgewacht ist. Er wird wissen, was zu tun ist.«
     
    Das Getöse der Schlacht bei Hastings war nichts gegen Bosgards Wutanfall, als er aufwachte und nach und nach erfasste, was geschehen war. Er schlug Henri den Becher Wein, den dieser ihm zur Stärkung reichte, aus der Hand, und der Wein ergoss sich blutrot auf den Fußboden. Als Nächstes folgte ein Stuhl, den Bosgard an der Wand zerschlug, und schließlich packte er Henri am Kragen und schüttelte ihn.
    »Wie habt ihr alle nur so dumm sein können? Tappt wie kleine Kinder in die Falle und habt nichts anderes im Kopf, als euch zu betrinken?« Bosgard knirschte mit den Zähnen und stieß Henri von sich. »Und Ihr, Henri, kennt Ihr mich wirklich so wenig, um nicht zu wissen, dass ich diesen plötzlichen Abzug skeptisch beäugt hätte? Wie habt Ihr auch nur einen Augenblick glauben können, ich würde dies verschlafen?«
    Henri zuckte in Erwartung eines Schlages zusammen. Bosgard de Briscaut neigte nicht zur Gewalttätigkeit, aber derart zornig hatte er seinen Herrn nie zuvor erlebt.
    »Bei allem Respekt, Sir, aber wir alle dachten, Ihr und Lady Hayla … Wir wollten Euch nicht stören …«
    Mit hochrotem Kopf griff Bosgard nun doch nach dem Krug Wein und nahm einen kräftigen Schluck. Er zitterte am ganzen Körper – aber nicht nur vor Zorn, derart überlistet worden zu sein, sondern auch vor Angst um Hayla. Nach einiger Zeit beruhigte er sich. Es war unrecht, Henri oder den anderen Männern die Schuld zuzuschieben. Er selbst hätte erkennen müssen, was in Haylas Kopf vor sich ging, schließlich kannte er sie gut genug. Hayla war eine Frau, die stets an das Wohl der anderen dachte, somit hätte er ahnen müssen, dass sie nicht tatenlos zusehen würde, wie die Menschen um sie herum verdursteten und verhungerten. Wie

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