Geliebter Normanne
Verwaltung von Penderroc kannst du gerne mir überlassen, und du könntest dir ein angenehmeres Leben machen.«
»Tz … tz, Ralph …« Bosgard hob tadelnd den Zeigefinger. »Es scheint fast so, als wolltest du mich loswerden.« Er beugte sich zur Seite und legte eine Hand auf Ralphs Schulter. »Ich weiß, dass du dich benachteiligt fühlst, weil König William dir kein eigenes Land zugesprochen hat. Wenn du dich jedoch bewährst, dann ist es durchaus möglich, dass ich dir ein Lehen gebe und du zu einem Vasallen des Königs wirst. Du musst nur ein wenig Geduld haben, Ralph.«
Geduld war jedoch das Letzte, über das Ralph Clemency verfügte, und er wollte auch keine Almosen haben. Er strebte nach Macht und Reichtum und wollte keinesfalls ein kleiner, unbedeutender Vasall sein, aber aufgrund seiner Abstammung aus dem niedrigen französischen Adel konnte er wohl nicht mehr verlangen.
»Ich sehe mich aber nicht als Bauer irgendwo in der Wildnis«, warf er grimmig ein. »Vielleicht sollte ich nach London gehen und mich wieder dem Heer anschließen.«
König William unterhielt seit der Eroberung Englands ein stehendes Heer, auch wenn seit Monaten niemand mehr gewagt hatte, gegen den neuen Herrscher zu rebellieren. In allen größeren Städten des Landes und entlang den Küsten ließ der König mächtige Festungen bauen und diese mit Soldaten besetzen.
Bosgard zuckte mit den Schultern.
»Das ist keine schlechte Idee, Schwager. Ich glaube auch, dass du mehr zum Kämpfen als zum Bearbeiten eines Ackerbodens geeignet bist. Ich lasse dich aber erst fort, wenn du mir die Sprache der Einheimischen beigebracht hast.«
Damit war Bosgard wieder zu dem Thema zurückgekehrt, über das Ralph alles andere als erfreut war. Es war keinesfalls in seinem Sinn, dass sich Bosgard direkt mit den Leuten unterhalten konnte, denn solange er als Übersetzer fungierte, besaß er wenigstens noch ein bisschen Macht.
Die Aufmerksamkeit der Männer wurde von dem Stallknecht, der ihre Pferde in Empfang nahm, abgelenkt. Just in diesem Moment verließ Hayla die Hütte, die als Lagerhaus für das Korn diente. Sie blieb stehen, als sie die beiden Männer erkannte, starrte sie für einen Moment an, senkte dann aber schnell den Kopf. Bosgard hatte trotzdem den Blick aus ihren veilchenblauen Augen auffangen können. Bereits am Tag zuvor hatte er diese intensive Farbe bemerkt, die ihn an den Garten seiner Mutter erinnerte, in dem im Frühjahr unzählige Veilchen blühten. Mit einem Lächeln sagte Bosgard zu Ralph: »Ich verstehe, dass das Mädchen dir gefällt, aber lass sie in Ruhe. Ich möchte keinen Ärger haben.«
»Sie ist doch nur eine einfältige Magd!« Ralph schüttelte den Kopf. »Ach, ich verstehe, Bosgard. Du willst sie für dein eigenes Bett, nicht wahr? Nun, du bist der Herr und hast das Vorrecht …«
»Rede keinen Unsinn!«, unterbrach Bosgard Ralph scharf, ließ ihn stehen und ging auf das Langhaus zu.
Hayla beeilte sich, aus dem Blickfeld Ralphs zu kommen. Es fiel ihr schwer zu verbergen, dass sie jedes Wort von Sir Bosgard verstanden hatte. Einerseits war sie ihm dankbar, aber auf der anderen Seite hatte Ralph Clemency sicher nicht unrecht mit der Vermutung, dass Bosgard sie für sich selbst wollte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es so weit sein würde, denn als Leibeigene war sie ihm hilflos ausgeliefert. Das Gesetz war auf seiner Seite – als Burgherr konnte er nach Belieben über seine Untertanen verfügen, und Hayla hatte von Bosgard de Briscaut den Eindruck gewonnen, dass er ein Mann war, der sich nahm, was er wollte.
In den Stunden, bis das Abendessen aufgetragen wurde, ließ die Erinnerung an zwei veilchenblaue Augen Bosgard nicht los. Es war aber nicht nur die außergewöhnliche Farbe, die ihn faszinierte, denn er hatte in dem kurzen Moment auch eine gewisse Verachtung im Blick der Magd gesehen, die ihn seltsam berührte. Natürlich hatte das Mädchen Grund, ihm ebenso wie allen Normannen ablehnend gegenüberzustehen, aber einer einfachen Magd konnte es doch gleichgültig sein, welchem Herrn sie diente, solange dieser sie anständig behandelte. Sie hatte ein Dach über dem Kopf, genügend zu essen und musste keine Schläge oder noch Schlimmeres befürchten. Bosgard de Briscaut wusste kaum etwas über den früheren Besitzer von Penderroc Castle, außer dass er kurz nach der Eroberung gestorben war. Wahrscheinlich war er ein guter und gerechter Herr gewesen, und die Loyalität seiner Leute ging über seinen
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